DIE LINKE nach dem Augsburger Parteitag

Ellen Brombacher, Bundessprecherin der KPF

Referat von Ellen Brombacher, Bundessprecherin der KPF

Liebe Genossinnen und Genossen, wir waren auf dem Parteitag mindestens 25 Delegierte, die Mitglieder der KPF sind. In den meisten Fällen waren unsere Delegierten zugleich Vertreter, die auf der Vertreterinnen- und Vertreterversammlung (Bundesvertreterversammlung) die Kandidatenlisten für die Europawahlen wählten. Hinzu kam Friedrich Rabe als Teilnehmer mit beratender Stimme. Hinzu kam Thomas, der in der Antragskommission wie immer ausgezeichnete Arbeit leistete. Unser Dank gilt auch Heidi und Reiner Boulnois, die unseren Bücherstand betreuten.

In diesem soeben benannten Rahmen nahmen 13 Mitglieder des Bundeskoordinierungsrates – unter ihnen vier Bundessprecher – am Parteitag beziehungsweise an der Bundesvertreterversammlung teil. Da wir als KPF nur drei Delegiertenmandate haben, belegen diese Zahlen, dass wir an der Parteibasis fest verankert sind. Wohl auch deshalb sind sehr viele Genossinnen und Genossen zu uns gekommen, immer wieder vor allem zwei Fragen stellend.

Zum einen: Hat es noch irgendeinen Sinn, in der LINKEN zu bleiben? Und zum anderen: Eure Anträge sind fast alle abgeschmettert worden. Wie haltet ihr das aus?

Zur ersten Frage möchte ich mich zum Schluss äußern.

Eine Frage des Kräfteverhältnisses

Ob man so etwas aushält oder nicht, hängt davon ab, mit welchen Erwartungen man in einen solchen Parteitag geht. Es war klar: Es sind die gleichen Delegierten wie auf dem hysterisierten Erfurter Parteitag, und so mancher, der in Erfurt noch auf der linken Flanke stritt, war gar nicht mehr anwesend, weil inzwischen ausgetreten. Das heißt, wir wussten um das Kräfteverhältnis.

Deshalb im Übrigen haben wir auch nie die Bestrebungen nach einem Sonderparteitag unterstützt, denn was sollte bei einem unveränderten Kräfteverhältnis dabei herauskommen?

Wir hatten also keine Illusionen, welche Chancen unsere Anträge haben. Wir hatten neun Änderungsanträge gestellt, zwei umfänglichere und sieben kürzere. Drei Änderungsanträge davon wurden teilübernommen. Da wir alle unsere Änderungsanträge im Heft 11 der Mitteilungen veröffentlicht haben, müssen hier keine Inhalte beschrieben werden.

Wir sind nie davon ausgegangen, dass unsere Änderungsanträge angenommen würden. Warum haben wir sie dennoch gestellt?

Zum einen vermitteln die Abstimmungsergebnisse einen Eindruck über das reale Kräfteverhältnis. Und zum anderen bietet jeder einzelne Antrag die Chance, zweimal zu Wort zu kommen – einmal durch die Einbringung und einmal durch die Fürrede. Diese Chance traf natürlich nicht nur für unsere Änderungsanträge zu, sondern für eine Vielzahl von linken Anträgen, die auf dem Parteitag gestellt wurden.

Bei einer Redezeit in der Generaldebatte von nur 90 Minuten, in der 19 Genossinnen und Genossen zu Wort kamen – von der KPF nur unsere Elisabeth Wissel mit einem sehr guten Beitrag – in einer solchen Generaldebatte war die Möglichkeit, im Rahmen der Antragsdebatte zu sprechen, für uns die wichtigste.

Wir konnten deutlich machen, dass propagandistische Erklärungen, nun gäbe es in der Partei keine Widersprüche mehr, nicht zutreffen.

Wir halten es nicht für einen Zufall, dass unser Agieren sowohl im nd als auch in der jungen Welt im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen wurde. Dem nd sind die »Progressiven Linken« lieber und zumindest Nico Popp, so unser Eindruck, das Bündnis Sahra Wagenknecht.

Wer auf dem Parteitag auch den Widerstand zur Kenntnis nahm, konnte feststellen:

  • Der Kampf um die Bewahrung der friedenspolitischen Prinzipien wird fortgesetzt.
  • Der Kampf gegen die Verwässerung des Antifaschismus wird fortgesetzt.
  • Der Kampf gegen die Sanktionspolitik wird fortgesetzt.
  • Der Kampf um eine antikapitalistischere, um eine wirkliche Oppositionspolitik wird fortgesetzt.

Diese Tendenzen sind unbestreitbar und nur dann gar nicht wahrnehmbar, wenn man auf »alles oder nichts« setzt, was in der Politik ohnehin nicht nur angebracht ist.

Es war nicht alles vergebens, weil ein Großteil unserer Anträge nicht angenommen wurde. Im Übrigen, liebe Genossen und Genossen, das geht uns länger als 30 Jahre mehr oder weniger so. Wir kämpfen - Aufwand und Nutzen häufig im Missverhältnis zueinander stehend –, und doch geben wir nicht auf.

Nein. Unser Kampf ist nicht vergebens, war es auch in Augsburg nicht.

Ich möchte das an folgenden Punkten verdeutlichen.

Friedenspolitische Positionen wurden verteidigt

Was uns vor dem Parteitag am meisten Sorge bereitet hatte, das hatten wir auch vorher gesagt, war, ob die Waffenlieferungsbefürworter durchkommen.

Es gab einen entsprechenden Änderungsantrag von Christoph Spehr und anderen. Dahinter steckte im Grunde genommen die »Progressive Linke«. Dass sie den initiiert haben, sagen sie von sich selbst. Dieser Änderungsantrag sah vor, die Formulierung, die Partei sei gegen Waffenlieferungen, um den Halbsatz zu erweitern »es sei denn, sie dienen der Selbstverteidigung gegen einen Angriffskrieg«.

Was das für ein Türöffner gewesen wäre, muss ich nicht erläutern.

Dieser Änderungsantrag wurde mit sehr deutlicher Mehrheit abgelehnt. Und mehr als das. Auf der Bundesvertreterversammlung wurde einigen Genossinnen und Genossen, die sich als Kandidaten für die Europaliste vorstellten und bei denen es offenbar Zweifel an ihrer Haltung zum Thema Waffenlieferungen gab, die Frage gestellt, wie sie dazu stehen. Keiner der Gefragten hatte diese Frage beantwortet, keiner.

Das heißt, sie waren nicht davon ausgegangen, dass der Saal übermäßig goutieren würde, wenn man sagt, dass man dafür ist, Waffen in die Ukraine zu liefern.

Ich will an dieser Stelle noch wenige Bemerkungen zu weiteren Abstimmungsergebnissen machen, die direkt oder indirekt die Friedensfrage betreffen.

Es gab vier Änderungsanträge, die darauf zielten, Sanktionen gegen Russland nicht weiter zu befürworten. Nach der Einbringung dieser Änderungsanträge kam es zu einer Blockabstimmung. Für die nicht so Parteitagsgeübten: Eine Blockabstimmung bedeutet, dass darüber abgestimmt wird, ob über die Änderungsanträge abgestimmt wird oder ob der ursprüngliche Text so erhalten bleiben soll.

57 Prozent stimmten dafür, den entsprechenden Absatz zu belassen, 14 Prozent enthielten sich und 34 Prozent wollten die Abstimmung über die Änderungsanträge. Bei diesen 34 Prozent kann man wohl vermuten, dass sie die Annahme der Änderungsanträge wünschten.

Mit anderen Worten: Es gibt in unserer Partei eine beachtliche Tendenz hin zur Ablehnung der Sanktionspolitik, nicht mehrheitlich, aber mit über einem Drittel doch auch nicht zu vernachlässigen.

Es gab mehrere Änderungsanträge, die darauf zielten, die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges nicht auszublenden und daher die NATO-Osterweiterung als eine Kriegsursache zu benennen. Hier gab es eine Übernahme durch den Parteivorstand. Das war der Parteitagsregie offenbar lieber, als das Risiko einzugehen, dass ein solcher Änderungsantrag dann vielleicht durchkommt.

Ein Änderungsantrag sah vor, eine Formulierung »Putins Krieg und Diktatur« zu ersetzen durch die Formulierung »Militarismus und Nationalismus«. Die Begründung der Antragsteller lautete, dass es weltweit nicht nur den Ukraine-Krieg gibt, sondern viele andere auch. Der Antrag wurde angenommen. 49 Prozent der Delegierten stimmten für die Ersetzung, 36 Prozent dagegen und 14 Prozent enthielten sich.

Ein Änderungsantrag, der speziell auf Sanktionen russischer Atomkraftwerke zielte, wurde mit 49 Prozent der Stimmen angenommen, 36 Prozent waren dagegen und 14 Prozent enthielten sich.

Der Kampf der Partei-Linken vor und in Augsburg war nicht vergebens

Natürlich kann man sagen, solche Kleinigkeiten sind doch nicht der Rede wert. Das sagen in der Regel nicht diejenigen, die diese Kämpfe um die Bewahrung der LINKEN als einziger Friedenspartei führen, die die hierzu erforderliche intellektuelle sowie organisatorische Arbeit leisten und sich den teils bösartigen Stimmungen eines Teils der Delegierten aussetzen.

Liebe Genossinnen und Genossen, zurück zu den Punkten, die aus unserer Sicht verdeutlichen, dass der Kampf der Partei-Linken vor und in Augsburg nicht vergebens war.

Im Gegensatz zum Erfurter Parteitag, der den Eindruck vermitteln musste, Klassenkampf interessiere die Partei überhaupt nicht mehr, gab es in Augsburg eine weitaus stärkere Orientierung auf die Wahrnahme der Interessen der Werktätigen. Das kam in den Reden der beiden Parteivorsitzenden, in der von Dietmar sowie in der Diskussion und den gestellten Änderungsanträgen zum Ausdruck.

Im Unterschied zur Hysterie in Erfurt gab es in Augsburg im Großen und Ganzen einen kulturvollen Umgang miteinander.

Diesen Gesamteindruck konnte auch das zeitweilige Agieren von Katina Schubert im Tagungspräsidium nicht aufheben.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir hatten ja gestern Landesparteitag in Berlin und ich bin auf Katina zugegangen und habe ihr das gesagt, was man in solchen Fällen sagt, wenn man nicht nur über jemanden redet, sondern mit jemanden spricht. Und ich denke, das müssen wir vielleicht auch bei manchen Genossinnen und Genossen öfter machen – bei andern hat auch das absolut keinen Sinn.

Und noch etwas. Natürlich wird gesagt, der Parteitag war eine Inszenierung. Nun möchte ich folgendes bemerken, und da kann ich meine SED-Erfahrungen auch mit einschließen: Parteitage sind nie frei von Inszenierung, nie. Doch das, liebe Genossinnen und Genossen, bedeutet überhaupt nicht, dass das Streben vieler Delegierter inszeniert war, auf dem Parteitag zu demonstrieren: Wir sind trotz aller Widrigkeiten und Widersprüche eine Partei und wir werden in ihr um Veränderung kämpfen. Dieses Streben war echt. Das ist gemeint, wenn wir von kulturvoller Atmosphäre reden und last but not least, der Umgang mit der Abspaltung war zumeist unaufgeregt und im Wesentlichen ohne den vergiftenden Eifer, den wir manchmal erleben.

Ein langer Prozess der Abkopplung

An dieser Stelle einige notwendige Bemerkungen zur Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht, zu der wir uns ja nach dem Austritt von Sahra aus der Partei noch nicht geäußert haben.

Seit sich die Abspaltung abzeichnete, und das ist unserer Auffassung nach kurz nach dem 25. Februar diesen Jahres der Fall gewesen – ihr erinnert euch: zeitnah zum 25. Februar erklärte Sahra, sie würde nicht wieder für die LINKE kandidieren, und dann kam von ihr in kürzer werdenden Abständen immer irgendetwas in diese Richtung –, seit also eine Abspaltung durch Sahra und andere ins Gespräch gebracht wurde, haben wir uns mehrfach und ohne Wenn und Aber gegen eine Spaltung der Partei ausgesprochen. Jürgen hat dazu bereits im Bericht des Bundessprecherrates einiges ausgeführt.

Aus heutiger Sicht kann man sich der Annahme kaum verschließen, dass Sahra seit dem Scheitern von »Aufstehen« als angedachte Massenbewegung und ihrem Rücktritt als Fraktionsvorsitzende – angekündigt im März 2019 und vollzogen im November 2019 – mit dem Gedanken gespielt hat, zu gehen und eine eigene Partei zu gründen.

Sie war nach 2018 bei keinem Bundesparteitag mehr. Wahlkreisarbeit fand so gut wie nicht statt und ebenso wenig Parteiarbeit in NRW. Es war ein langer Prozess der Abkopplung und mit dem Vorstellen des Buches »Die Selbstgerechten« ein halbes Jahr vor den Bundestagswahlen 2021 vertiefte sich die Entfremdung.

Die Rechten in der Partei haben alles, aber auch wirklich alles, getan, um den Abspaltungsprozess zu befördern, zu vertiefen und zu beschleunigen.

Und die KPF hat sich dazu nie neutral verhalten, sondern sich immer wieder öffentlich gegen das Agieren dieser Kräfte gestellt und Solidarität mit Sahra geübt; ungeachtet zunehmender Meinungsverschiedenheiten in bestimmten Fragen.

Nun sind die Tatsachen geschaffen – kein Grund zur Freude, aber unabänderlich. Auch hierzu gab es auf dem Parteitag sehr, sehr viele Einzelgespräche und nicht wenige kreisten auch um das Thema der Differenzen mit Sahra hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Zu diesem, sehr prinzipielle Fragen betreffenden Thema möchte ich mich äußern. Die nachfolgenden Überlegungen sind – wie die gesamte Rede, die ich hier halte – im Bundesprecherrat diskutiert und gebilligt.

Nicht nur ich habe in den Gesprächen zu Sahras Politikansätzen, die wir zum Beispiel in der Ukraine-Frage voll teilen, darauf verwiesen, dass ihre Äußerungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik – annähernd im Tagestakt mittlerweile – unannehmbar sind und dass die Anfänge ihrer diesbezüglichen Positionsveränderungen 2015/16 liegen. Als Reaktion auf diese Kritik an Sahra kam es nicht nur in einem Gespräch zu der Erwiderung, würde Sahra der AfD Stimmen wegnehmen, dann habe ihr Abspaltungsschritt eine gewisse Berechtigung.

Nicht nur ich habe dem entgegengehalten, es ginge aber doch nicht an, dass man der AfD Stimmen wegnimmt, indem man sich ihren Positionen annähert. Das täten schon alle bürgerlichen Parteien.

Und auf diese Entgegnung, liebe Genossinnen und Genossen, folgte nicht nur einmal: Ja, aber mit der Flüchtlings- und Asylpolitik kann es doch wirklich nicht so weitergehen. Und dann folgen die Aufzählungen: Wohnungsnot, überfüllte Schulen, überlastetes Gesundheitssystem, etc..

Das Gerede über Obergrenzen

Liebe Genossen und Genossen, niemand kann und wird leugnen, dass, wenn es zum Beispiel Wohnungsnot gibt, diese natürlich größer wird, wenn auch Flüchtlinge versorgt werden müssen. Das ist ein unleugbarer Fakt. Doch wie verhält man sich zu dieser Tatsache? Erweckt man den Eindruck, ohne Migration gäbe es eher keine Wohnungsnot? Oder benennt man die Ursachen für die sich sprunghaft stärker entwickelnden sozialen Verwerfungen? Wir erleben das gerade in diesen Tagen, genannt sei nur die Abschaffung der Energiepreisbremse.

Und zu diesen Ursachen gehören nicht zuletzt die Kosten für Aufrüstung und Militarisierung, für Kriege und Kriegsvorbereitungen. Imperialistische Kriege und Neokolonialismus wiederum sind wesentliche Ursachen für Fluchtbewegungen, die inzwischen 100 Millionen Menschen umfassen.

Sind die Flüchtlinge an allem schuld, so sind Obergrenzen eine Lösung. Es ist leicht, mit dem Gerede über Obergrenzen nationalistische Stimmungen zu erzeugen, die bei Wahlen Stimmen bringen. Und es ist sehr, sehr schwer, über die gesellschaftlichen Ursachen aufzuklären, die zu den Zuständen geführt haben, unter denen wir derzeit leben.

Nicht die Flüchtlinge sind schuld, sondern der Kapitalismus ist es. Und dieser Kapitalismus setzt nicht zum ersten Mal in der Geschichte zunehmend auf Ersatz für die immer weniger funktionierende bürgerliche Demokratie.

Schauen wir nur in die Niederlande, gerade jetzt. Nach Italien, nach Spanien und anderswohin, schauen wir uns hierzulande um: Rechts marschiert. Für das Kapital sind letztlich nur optimale Bedingungen für die Profitmaximierung von Interesse.

Und wenn die bürgerliche Demokratie – oder besser gesagt, die davon noch verbliebenen Reste – die optimalen Bedingungen für Profitmaximierung nicht mehr gewährleisten kann, schaut man sich nach anderem um.

Faschismus bleibt Faschismus

Faschistoide und auch faschistische Tendenzen werden stärker, teilweise beängstigend stark. Worin besteht der zunächst entscheidende ideologische Vorteil des Faschismus für Kapitalherrschaft? In der willkürlichen Ersetzung der Klassenwidersprüche durch die Ideologie des Völkischen. Damit lassen sich zudem Kriege gut vorbereiten.

Die Ideologie des Völkischen funktioniert nur, wenn es einen Sündenbock gibt, dem man die Verantwortung für alle in der Nation existierenden Übel zuschieben kann. Heutzutage sind diese Sündenböcke die Migranten. Herr Maaßen, Ex-Chef des Verfassungsschutzes, hat jetzt gegen Zuwanderung Chemotherapie empfohlen. Er hat sie damit einer Krebserkrankung gleichgesetzt. Im Netz spielt sich Grauenhaftes ab. Die Hetze gegen sogenannte »irreguläre Zuwanderung« wird zum Hass gegen alle, die fremd scheinen.

Da gewinnt die deutsche U-17-Fußballmannschaft. Vier deutsche Fußballer mit schwarzer Hautfarbe posten ein glückstrahlendes Foto über den Sieg für Deutschland und ernten unfassbaren, massenhaften Hass.

Liebe Genossen und Genossen, da endet die Erzählung von der Schuld der Zugewanderten – genau in solchen Dingen. Vorerst! Übermorgen kommt der massenhafte Terror hinzu.

Faschismus bleibt Faschismus, nicht nur 1933 und folgend, sonst brauchte man ihn nicht! Ein bisschen Rassismus gibt es nicht. Der Kern des heutigen Rassismus ist die Schuldzuweisung für die zunehmende deutsche Misere an die Zugewanderten. Der Obergrenzen-Begriff ist das Synonym für das Postulat: Je weniger kommen, desto besser geht es uns.

Jede und jeder Linke muss sich entscheiden, ob er dieser Demagogie folgen will oder ob er sie bekämpft.

Und in diesem Kontext seien Sahra und Oskar zitiert. Sahra sagte nach den Hessenwahlen: »Das Innenministerium ist eines der wichtigsten Ministerien. Die Flüchtlingskrise ist mindestens so dramatisch wie 2015. Hier braucht es an der Spitze keine Wahlverliererin, sondern maximale Handlungsfähigkeit.« und weiter: Faeser, also die Innenministerin, ließe die Schleuserindustrie machen. Die Bundesregierung solle sich an Ländern wie Dänemark orientieren und den Zuzug minimieren.

Ich möchte das nicht kommentieren.

Ich kommentiere auch nicht das nachfolgende Zitat von Oskar Lafontaine am 19.11.2023 im ZDF: »Man sollte für die Schwächsten in der Gesellschaft eintreten und die Schwächsten in der Gesellschaft können keine Schlepper bezahlen. Die kommen gar nicht erst hier an.«

Aussagen wie diese haben Konsequenzen für das, was politisch praktisch passiert.

In dieser Woche haben die Genossinnen und Genossen, die mit Sahra die LINKE verlassen haben, gemeinsam mit CDU und AfD dafür gestimmt, dass Moldawien und Georgien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Sichere Herkunftsländer braucht man, weil man nur dahin abschieben darf.

Liebe Genossinnen und Genossen, vor kurzem, am 9. November, gedachten wir der Pogromnacht von 1938. Nur die Kommunisten haben damals Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung geübt, und zwar in der Roten Fahne. Ohne Wenn und Aber.

Sie haben nicht gesagt: Wenn der langjährig arbeitslose SA-Mann den Laden eines jüdischen Besitzers auf dem Ku’damm verwüstet und den Besitzer halb totgeschlagen hat, dann ist das irgendwo verständlich, weil irgendwo und irgendwie die Klassenfrage da reinspielt. Nein, die Kommunisten haben unterschiedslos die Barbarei verurteilt, denn darum ging es dort. Jeder, der die Erklärung für die Rote Fahne geschrieben hat, hat dafür den Kopf hingehalten.

Die, die die Zeitung gedruckt haben, haben dafür den Kopf hingehalten. Diejenigen, die sie verteilt haben, haben den Kopf hingehalten. Sie haben ihr Leben riskiert, weil sie die Faschisten hassten und kannten und wussten, wohin das System, deren System, führt.

Und wir, wir wissen es ja auch, weil wir das Ende kennen. Wir müssen heute nicht unseren Kopf riskieren. Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger als den Willen – und ich mach‘s jetzt in diesem Bild –, die Demagogie des Obergrenzen-Gefasels zu durchschauen und zu entlarven.

Diese Demagogie in der Flüchtlingsfrage ist der ideologische Haupthebel, faschistischen Ungeist wachsen zu lassen, um so - für den Fall der Fälle - den Nazis mit Massenbasis zur politischen Macht verhelfen zu können. Nicht mehr und nicht weniger. Wer diesen Charakter der sogenannten Flüchtlingsfrage und -debatte verkennt, verkennt den Grad der rechten Gefahr, und die ist sehr real.

Es hätte wohl den Parteitag zerlegt

Liebe Genossinnen und Genossen, ich komme zurück zum Parteitag.

Es ist als sehr positiv zu bewerten, dass Özlem Demirel den dritten Platz auf der Europaliste verteidigt hat. Sie war die einzige unter den ersten vier, die eine ernstzunehmende Gegenkandidatur hatte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Özlem hat eine herausragende Rolle beim Zustandekommen des Nahostantrages gespielt. Da ich in diesen Prozess zutiefst involviert war, habe ich das auch sehr direkt erlebt. Özlems linke, antikapitalistische, antiimperialistische Positionen gefallen nicht allen.

Ich möchte als Vorletztes in meinen Darlegungen etwas zum Nahostantrag sagen.

Erstens: Ohne unseren ursprünglichen und zuerst eingereichten Antrag – gemeint ist der von Özlem, Christine Buchholz, Inge Höger und anderen initiierte – hätte es auf dem Parteitag wohl gar keinen Beschluss zum Krieg im Nahen Osten gegeben.

Zweitens: Der erzielte Kompromiss[1] ist akzeptabel. Wir haben ihn euch zum Nachlesen auch in die Konferenzunterlagen gelegt.

Drittens: Der erzielte Kompromiss geht in unsere Richtung und hat den Versuch der »Progressiven Linken« zunichte gemacht, eine der sogenannten deutschen Staatsraison entsprechende Erklärung auf dem Parteitag zu verabschieden.

Viertens: Wäre kein Kompromiss gelungen, wäre es also bei zwei oder möglicherweise auch bei drei konkurrierenden Anträgen geblieben, hätte es - nicht nur meiner Einschätzung nach - den Parteitag vermutlich zerlegt. Das wollten wir nicht, das wollten auch nicht die Vorsitzenden.

Soweit eine grundlegende Bewertung des Beschlusses zum Krieg im Nahen Osten.[2]

Ich durfte auf dem Parteitag in der begrenzten Debatte zum euch vorliegenden letztendlichen Nahost-Antrag die Rede halten im Namen derjenigen, die den von mir eingangs erwähnten ursprünglichen Antrag eingereicht hatten. Ich möchte wiedergeben, was ich dort gesagt habe. Das, was ich gesagt habe, ist wiederum ein Zitat der deutsch-französischen Schriftstellerin und Journalistin Elsa Koester. Sie schreibt im Freitag Nr. 43, 26. Oktober 2023, Seite 5:

»Wer kein Leid ausblendet, sondern Schmerzen aufgrund des Leids aller Menschen zulässt, findet keine Eindeutigkeit, sondern nichts als Zerrissenheit. Die Besatzung und Gewalt gegen die Palästinenser über 70 Jahre rechtfertigt kein Massaker an Zivilisten. Und: Ein Massaker an Zivilisten rechtfertigt keine Kriegsverbrechen gegen Zivilisten. Und: Kriegsverbrechen gegen palästinensische Zivilisten rechtfertigen keine Übergriffe gegen Synagogen oder jüdisches Leben. Und: Übergriffe gegen Synagogen und jüdische Einrichtungen rechtfertigen keine Verbote palästinensischer Flaggen, Veranstaltungen oder Kleidungsstücke. Das klingt einfach. Aber es zerreißt. Weil es Fragen hinterlässt …«

Soweit, liebe Genossinnen und Genossen, einiges zum Nahost-Parteitagsantrag. Und ich sage es noch einmal: Wenn es nicht gelungen wäre, diese Zusammenführung, diesen Kompromiss hinzukriegen, so hätte das für den Parteitagsverlauf verheerende Folgen gehabt. Das zeigte schon die kurze begrenzte Debatte von nicht einmal einer Stunde. Die wenigen Redebeiträge ließen eine Ahnung aufkommen, was passiert wäre, wären auf dem Parteitag konkurrierende Anträge behandelt worden. Und noch etwas. Schaut euch die Rede von Klaus Lederer im Rahmen dieser begrenzten Debatte an. Sein Beitrag macht klar, dass der beschlossene Antrag nicht den Interessen der Staatsraison-Befürworter in unserer Partei entspricht.

Ich komme zum Schluss. Wir haben versucht, darzulegen, dass der Augsburger Parteitag durchaus nicht für einen vielgescholtenen Burgfrieden stand. Die Widersprüche blieben nicht im Verborgenen. Das Kräfteverhältnis war, wie fast immer, nicht zu unseren Gunsten. Wir haben gelernt, damit zu leben und unter diesen Bedingungen zu kämpfen. Wir bleiben und arbeiten in der LINKEN, weil wir meinen, dass es leicht ist, eine Struktur zu zerstören. Innerhalb der Struktur etwas zu verändern ist Arbeit, tagtägliche Kleinarbeit und inhaltliche Präzision. Wir Kommunistinnen und Kommunisten sollten uns diesen Schwierigkeiten stellen. Darum bitten wir hier jeden Einzelnen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

 

[1] Beschluss »Stoppt den Krieg – Waffenstillstand sofort! Geiseln freilassen! Antisemitismus und Rassismus ächten!« des Augsburger Parteitages vom 17.11.2023, zu finden unter dem Punkt Beschlüsse.
Siehe https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/augsburger-parteitag/

[2] Nachfolgend äußerte sich Ellen detaillierter zu den Verhandlungen, die zum Kompromiss führten und die hier im Einzelnen nicht wiedergegeben werden müssen.