Überlegungen zur friedenspolitischen Bündnisarbeit
Diskussionspapier
[Redaktionelle Anmerkung: Aus immer wieder aktuellem Anlass dokumentieren wir hier ein Diskussionspapier, das durch die KPF dem Berliner Landesparteitag am 24. November vorgelegt und in den Januar-Mitteilungen der KPF dokumentiert wurde:
https://kpf.die-linke.de/mitteilungen/detail/rede-antrag-diskussionspapier/
Dieses Papier berührt unmittelbar Fragen, die ähnlich sowohl im Kreisverband Göttingen/Osterode der Partei DIE LINKE wie auch in der Wähler*innengemeinschaft Göttinger Linke virulent sind - deren Existenz und politischen Sinn wir als Göttinger Ortsgruppe der KPF nicht weniger verteidigen als Existenz und Sinn der Partei - und die bei "antidialektischer Sichtweise" und ohne das notwendige "antifaschistische Gespür" (Formulierungen aus dem Diskussionspapier) erhebliches destruktives Potential entwickeln. Um diesem entgegenzuwirken, sei dieses Papier auch hier veröffentlicht.]
1. In der LINKEN und unter Linken ist eine schon seit längerem schwelende Debatte entbrannt. Wenn es um derartig Existenzielles wie den Frieden ginge, seien alle willkommen, die diesen reinen Herzens wünschten, sagen die einen. Nazis seien nie willkommen, sagen die anderen.
2. So weit, so gut. Nazis sollten wirklich nirgendwo willkommen sein, wo Humanisten ein Anliegen vertreten. Aber heißt das, dass humanistische Anliegen irreversibel beschädigt würden, nähmen auch nur einige Nazis an einer Demonstration oder Kundgebung teil? Ja, sagen die einen; nein die anderen. Wo sich diese – im Übrigen bei den einen wie den anderen vorhandene – antidialektische Sichtweise durchsetzt, ist eines gewiss: Nazis bestimmen, ob man als Antifaschistin oder Antifaschist an einer Demonstration teilnehmen darf oder nicht. Sie – die Nazis – müssen einfach nur da sein und einige Linke müssen nur »Achtung, Querfront!« rufen und jedes fortschrittliche Anliegen hat sich erledigt. Aus nicht durchdachtem Antifaschismus wird wohlkalkulierte Nazidominanz.
3. Anscheinend ein Dilemma. Aber nur deshalb, weil die einen denunzierend aus der Teilnahme von ein paar Nazis machen, die Demonstration sei rechtsoffen, und die anderen so tun, als existierten Querfrontbestrebungen der Nazis gar nicht. Das ganze Gerede über letzteres sei nur Denunziation. Die gibt es zweifellos, und nicht zu knapp; bar jeglicher Redlichkeit. Allerdings: Dass es Denunziation gibt, bedeutet nicht, dass gar nicht existiert, was in zweifelsfrei denunziatorischer Absicht unterstellt wird.
4. Weder machen einige anwesende Nazis eine Demonstration zu einer rechtsoffenen, noch lässt sich leugnen, dass an Querfrontbestrebungen gearbeitet wird. Absolute Urteile helfen auch hier ebenso wenig weiter, wie Absolutheitsansprüche zumeist nicht zu Erkenntnisgewinnen beitragen.
5. Die Teilnahme von einer Handvoll Nazis macht eine Demonstration nicht zu einer rechtsoffenen, wenn der Demo-Aufruf – z.B. im Falle einer Friedensdemonstration – klare antikapitalistische, antiimperialistische, internationalistische und antifaschistische Aussagen enthält. Und zum Antifaschismus gehören immer die internationale Solidarität und die uneingeschränkte Ablehnung jeglicher Form von Rassismus. Lässt die Bündnisbreite so deutliche inhaltliche Konturen nicht zu, so müssen zumindest entscheidende Protagonisten einer solchen Demonstration öffentlich entsprechende klare Worte finden. Wird auf diese konzeptionelle Klarheit verzichtet, können sich Rechte zur Teilnahme ermuntert fühlen und dann wird eine Demo rechtsoffen; nicht durch eine Handvoll Nazis, sondern durch mangelndes antifaschistisches Gespür der Organisatoren.
6. Von diesem Mangel an Gespür ist es nur ein kleiner Schritt, zwielichtige Figuren mit in Organisationsstrukturen zur Vorbereitung und Durchführung von Demonstrationen aufzunehmen. In dem Moment wird die inhaltliche Hoheit in einem in der Sache fortschrittlichen Bündnis mit Figuren geteilt, die zwar selbst nicht unbedingt Nazis sind oder werden, die aber keine Probleme haben, gemeinsam mit Nazis zu agieren. Sie sind eine Art Querfront-Brückenbauer. Solcherart Konstellationen niemals zuzulassen, ist keine taktische Frage. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die für Nazis strategische Frage – sie wissen um das Maß an Geschichtsvergessenheit – dass in Deutschland der Faschismus unter »Linken« rehabilitiert werden soll.
7. Für links-humanistische Bündnisse muss gelten:
- Rechtsoffene Strukturen dürfen nicht Teil des Bündnisses sein.
- Rechte Symbole dürfen auf den Demos nicht geduldet werden.
- Bündnisaufrufe müssen erkennbar antifaschistischen Charakter haben.
Darauf zu verzichten, um eine mehr als fragwürdige Breite zu gewährleisten, bedeutet, einer tödlichen Prinzipienlosigkeit Raum zu geben.
8. Zugleich darf nicht zugelassen werden, auf richtige Forderungen zu verzichten, – z.B. die Verurteilung der Embargopolitik gegen Russland oder die Forderung nach Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg –, nur weil Rechte solche Forderungen aus taktischen Gründen auch gerade stellen.
9. Wenn diese Grundsätze Maxime der Bündnisarbeit sind, muss man sich um die paar Nazis, die trotzdem kommen, nicht unbedingt scheren, denn dann kann man mit handfesten Argumenten die allgegenwärtigen Denunziationen zurückweisen.