Aus dem Archiv: Sabine Lösing zum politischen Vorfeld des Ukraine-Kriegs (Göttinger Blätter Juli/August 2015)

Expansion - Assoziation – Konfrontation: EUropas Nachbarschaftspolitik, die Ukraine und der Neue Kalte Krieg gegen Russland

Vorabdruck des Vorworts von Sabine Lösing aus der gleichnamigen Broschüre

 

Angesichts der Hysterie, mit der derzeit über das Verhältnis zu Russland hier im Westen diskutiert wird, fällt es manchmal schwer, das richtige Maß zu finden. Auf der einen Seite kann tatsächlich niemand die russische Politik ernsthaft vorbehaltlos gut heißen. Dies betrifft zuerst natürlich Teile der Innenpolitik, doch auch außenpolitisch bedient sich Russland einer Machtpolitik, die vonseiten der Friedensbewegung im Falle der westlichen Staaten immer völlig zu Recht scharf kritisiert wurde. Dennoch halte ich es andererseits für richtig und wichtig, hier Ursache und Wirkung nicht zu verwechseln – schließlich war es der Westen und nicht Russland, der mit seiner NATO-Expansionspolitik die Chance auf eine dauerhafte Annäherung in den Wind schlug. Doch von der Tatsache, dass der aktuellen Krise in der Ukraine eine jahrelange anti-russische Einkreisungspolitik vorausging, die den eigentlichen Nährboden der jüngsten Eskalation darstellt, will hierzulande kaum jemand etwas wissen.

Auch genügt es bei weitem nicht, mit dem Finger allein auf die „böse“ USA zu zeigen. Sicher hat Washington einen großen Anteil an der Verschlechterung der Beziehungen zu Russland. Allerdings trug hierzu auch die vor allem von Deutschland forcierte EU-Expansionspolitik und das mit ihr zusammenhängende Assoziationsabkommen mit der Ukraine maßgeblich bei. Ferner müssen die Auseinandersetzungen in der Ukraine in einem breiteren Zusammenhang einer sich erneut anbahnenden Blockkonfrontation gesehen werden, die brandgefährlich ist. Rückt der Westen hier nicht von seinem Vormachtanspruch ab, indem er beginnt, zentrale russische Interessen zu respektieren, droht tatsächlich eine Neuauflage des Kalten Krieges. Wie gefährlich die Lage ist, zeigt etwa der Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ vom 5. Dezember 2014, in dem 60 Prominente mit deutlichen Worten warnten: „Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten.“

Einen Krieg will vielleicht tatsächlich kaum jemand, obwohl ich mir da angesichts des Säbelrasselns einflussreicher Hardliner manchmal nicht so sicher bin. Manchmal hat es gerade im Europaparlament den Anschein, als könnte es vielen meiner Kolleginnen und Kollegen gar nicht schnell genug gehen, einen Neuen Kalten Krieg mit Russland vom Zaun zu brechen. Ein breiter Konsens existiert aber in jedem Fall darin, allein Russland für die Situation verantwortlich zu machen. So heißt es etwa in einem Entschließungsantrag, den die Mehrheit der EU-Parlamentarier im Januar 2015 verabschiedete: „Das Europäische Parlament […] verurteilt Russlands aggressive Expansionspolitik auf das Schärfste, die die Einheit und Unabhängigkeit der Ukraine bedroht und auch für die EU eine potenzielle Bedrohung ist und zu der die rechtswidrige Annexion der Krim und der nicht erklärte hybride Krieg gegen die Ukraine sowie der Nachrichtenkrieg zählen.“ An keiner Stelle des Antrags werden selbstkritische Töne angeschlagen – und sei es auch noch so leise.

Stattdessen erleben wir seit einiger Zeit gerade in den Medien eine Propagandaoffensive, die einem buchstäblich den Atem verschlägt. Eine der wenigen Ausnahmen ist das Handelsblatt, in dem Chefredakteur Gabor Steingart als einer der wenigen Vertreter der Massenmedien zu Besonnenheit mahnte: „Jetzt wieder Nato-Einheiten an die polnische Grenze zu verlegen und über eine Bewaffnung der Ukraine nachzudenken ist eine Fortsetzung der diplomatischen Ideenlosigkeit mit militärischen Mitteln. Diese Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Politik – und zwar immer an der Stelle, wo die Wand am dicksten ist – bringt Kopfschmerzen und sonst nicht viel. Dabei gibt es im Verhältnis Europas zu Russland in der Wand eine große Tür. Und der Schlüssel zu dieser Tür heißt Interessenausgleich.“

So richtig Schritte in diese Richtung wären, sie würden eine ehrliche Debatte über die tatsächlichen strategischen und ökonomischen Interessen hinter dem Konflikt und im Verhältnis zu Russland erfordern – doch davon ist weit und breit nichts zu sehen. Etwas positiver stimmt hier Stimmung in der Bevölkerung, die sich ganz und gar nicht hinter die Hardliner in der Russland-Politik stellen will, wie diverse Umfragen belegen. Doch gerade weil die Propagandafront von Politik und Medien dennoch nahezu lückenlos ihre Version der Realität verbreitet, ist es dringend erforderlich, hiergegen mit alternativen Informationen anzuarbeiten. Die vorliegende Broschüre soll hierzu einen bescheidenen Beitrag leisten.

 

Das Inhaltsverzeichnis der Broschüre kann vorab im Internet eingesehen werden:

www.sabine-loesing.de/article/375.expansion-assoziation-konfrontation-europas-nachbarschaftspolitik-die-ukraine-und-der-neue-kalte-krieg-gegen-russland.html

 

Die Broschüre kann ab Juli kostenlos im Europabüro Sabine Lösing bestellt werden:

Europabüro Sabine Lösing

Goseriede 8

30159 Hannover

Tel.: 0511-45008852

hannover@sabine-loesing.de