10 Jahre Hartz-IV – 10 Jahre Drohungen, Demütigungen, Entmündigung

Gerd Nier für den KV Göttingen

Als ich im Bundestagswahlkampf 2008 die Informationen über die An- und Hochrechnung von Betteleinkünften auf die Hartz-IV-Leistungen eines Göttinger Bürgers erhielt und öffentlich machte, brach ein deutschlandweiter Medienrummel aus.

 

Auch ich hielt das ehrlich gesagt für einen „Ausreißer“, obwohl mir schon etliche Berichte über den teilweise schikanösen behördlichen Umgang mit Hilfeberechtigten zu Ohren gekommen waren.

Als ich im Bundestagswahlkampf 2008 die Informationen über die An- und Hochrechnung von Betteleinkünften auf die Hartz-IV-Leistungen eines Göttinger Bürgers erhielt und öffentlich machte, brach ein deutschlandweiter Medienrummel aus.

Auch ich hielt das ehrlich gesagt für einen „Ausreißer“, obwohl mir schon etliche Berichte über den teilweise schikanösen behördlichen Umgang mit Hilfeberechtigten zu Ohren gekommen waren.

Mittlerweile weiß ich aus fast tagtäglich an mich herangetragenen Beispielen, wie schikanös, wie entwürdigend und in Teilen sogar menschenverachtend mit Menschen umgegangen wird, die sich in den Fallstricken von Hartz-IV wiederfinden.

Neuestes Beispiel: Ich wurde gebeten eine Frau zum Notar zu begleiten, die vom Landkreis Göttingen aufgefordert worden war, eine „Erbteilverpfändungserklärung“ zu unterschreiben. Es geht um ein Achtel einer Doppelhaushälfte, das noch von der 80-jährigen Mutter, der Schwester und einer Tante (den anderen Anteilseignerinnen) bewohnt wird.

Das es nicht zu der Unterschrift kam, ist der Intervention eines Rechtsanwaltes, der sich im Sozialrecht auskennt und der Weigerung der Frau zu verdanken. Denn bisher, so die Auskunft des anwesenden Mitarbeiters des Landkreises, seien die Verfahren immer ohne Probleme verlaufen.

Weder dem Notar noch mir war diese Praxis bisher bekannt. Sie scheint aber tatsächlich im Landkreis Göttingen schon mehrfach angewandt worden zu sein. Mit einer Schuldanerkenntnis und dem notariell beglaubigten Eintrag ins Grundbuch der Landkreis scheint sich der Landkreis „auf der sicheren Seite zu wiegen“, sich den möglichen Unannehmlichkeiten einer Zwangsräumung und -versteigerung zu entledigen und ohne großen Aufwand ein dauerhaftes Druckmittel in der Hand zu haben.

Da selbst der Notar nach den von uns vorgebrachten Einwänden vom Landkreisvertreter nicht mehr heraus bekam, schickte er die Parteien nach Hause mit der Aufforderung erst einmal Klarheit zwischen den Beteiligten auf der sozialrechtlichen Ebene zu schaffen und ihn dann mit einem klaren erbrechtlichen Begehren ggf. erneut  aufzusuchen.

Wie diese Klärung ausgeht, und ob der Landkreis bereit ist, erst einmal abzuwarten, wie die laufende rechtliche Klärung des Leistungsanspruchs entschieden wird, werde ich weiter verfolgen.

Was ich dann aber in einem Gespräch nach dem Notarbesuch von der betroffenen Frau erfuhr, macht mich vollends wütend. Seit September (Antragstellung) hat sie noch keinen Pfennig/Cent als Leistung erhalten. Und weil dies so ist und sie sich deshalb bisher vergeblich an den Leistungsträger wandte, bekam sie ein Schreiben mit der Aufforderung, zu belegen, wie sie die Monate ohne Leistungsbezug leben – oder sollte man besser sagen überleben konnte.

Das ist doch nur so zu verstehen, dass ihr unterstellt wird, dass sie die staatliche Unterstützung dann wohl nicht wirklich benötige, sie komme ja auch so über die Runden. Welcher Zynismus: Da wird von der Antragstellerin die Beweispflicht verlangt, wie sie auch ohne Transferleistungen monatelang existieren konnte. Da sollen womöglich Bekannte und Freunde noch eidesstattliche Erklärungen abgeben, wann und wie viel sie ihr möglicherweise geliehen haben.

Wo leben wir denn?

Da können millionenfache Steuerhinterzieher nach einem Fünftel Haftverbüßung  als Freigänger quasi als Vorbild für die Jugend fungieren. Da wird gepokert und geschachert, um die Erben riesiger Vermögen möglichst wenig heran zu ziehen. Da werden Milliarden von Steuergeldern für teilweise unsinnige oder völlig überteuerte Prestigeprojekte in den Sand gesetzt. Und den wirklich auf Hilfe angewiesenen Menschen wird das „letzte Hemd ausgezogen“ und das in einer Form, die an Entwürdigung, Demütigung und Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten ist.

Nachtrag:

Trotz der mündlichen Zusicherung des Landkreisvertreters, sich (nach fünf Monaten Zahlungsverweigerung) unverzüglich zumindest für eine erste Zahlung einzusetzen, ist auf Nachfrage auch drei Tage nach dem Treffen noch keine Überweisung eingegangen.