Redebeitrag auf der Gedenkveranstaltung zur November-Revolution 1918 in Wilhelmshaven

KPF Niedersachsen

Novemberstürme durchtobten vom Meer her das kriegsmüde Land 
und die sich stürmisch erprobten, bestanden, wie Liebknecht bestand.
Matrosen, im Kampfe verraten, hobt ihr unser Banner ans Licht –
die Stunde, Marinesoldaten, vergessen wir Arbeiter nicht! 

So heißt es in der 2. Strophe eines Liedes über die Roten Matrosen des Jahres 1918

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,

ganz herzlich begrüße ich Sie und Euch hier auf dem sogenannten Ehrenfriedhof.

Vor einigen Jahren gab es schon gelegentlich Gedenkveranstaltungen zu den Wilhelmshavener Matrosen-Aufständen in der Schluss-Phase des 1. Weltkrieges, mit denen der Deutsche Rote November 1918 und die Klassenkämpfe in den Monaten darauf eingeläutet wurden.

Ich erinnere hierbei unter anderem an Zusammenkünfte im „Kreuzelwerk“ oder in der „Ruscherei“, zu der seinerzeit beachtenswert viele an der Geschichte der lokalen Arbeiterbewegung Interessierte gekommen waren.
An diese Veranstaltungen, mit denen die Erinnerung an die revolutionären Ereignisse vom Sommer 1917 als auch vom Herbst/Winter 1918/19 hier in Wilhelmshaven immer wieder wachgehalten werden sollte, knüpft unsere heutige Zusammenkunft nach meinem Verständnis an.

Mit unserem heutigen Hiersein auf diesem Friedhof wollen wir die Courage der roten Matrosen und Heizer würdigen, die u. a. mit ihrer kollektiven Befehlsverweigerung in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1918 – also in diesen Tagen vor 99 Jahren – auf den im Hafen von Wilhelmshaven und auf Schillig-Reede liegenden Kriegsschiffen die Initialzündung gaben für die Matrosen- und Arbeiterstreiks, die in darauffolgenden Tagen jenes Novembers 1918 in Kiel sowie anderen deutschen Marine-Standorten ausbrachen und dann übergriffen auf Berlin sowie weitere Großstädte und auch die Industrie-Reviere Deutschlands erfassten.

Was in Wilhelmshaven als Befehlsverweigerung begonnen hatte, vollendete sich dann bekanntlich nur 10 Tage später in der Reichshauptstadt Berlin mit dem Sturz der Hohenzollern-Despotie von Wilhelm II., dem Ausbruch der Revolution und dem – leider nur kurzen, vorübergehenden – Sieg über den deutschen Militarismus.

Wir, die wir uns heute morgen hier versammelt haben, Mitglieder und Vertreter linker Parteien bzw. Organisationen, aber auch parteilose Linke – Sozialisten und Kommunisten, Gewerkschafter als auch Friedensaktivisten und Humanisten sowie andere fortschrittlich Denkende – stehen voll und ganz in der Tradition jener couragierten revolutionären Matrosen, Schiffsheizer, Seeleute von Wilhelmshaven, Kiel und Berlin und halten deren Vermächtnis in großen Ehren.

Wir hier Versammelte – die zwar leider noch immer in verschiedenste, teilweise miteinander konkurrierende Parteien sowie Organisationen aufgeteilt sind (im Gegensatz zum einig-handelnden Klassengegner!) –, wir sind die legitimen politischen Erben der Revolutionäre von 1917, 1918 und 1919!

Als nichtreformistische deutsche Linke gehen wir alle mehr oder weniger zurück auf die Kommunistische Partei Deutschlands, die unmittelbar infolge der in Wilhelmshaven begonnenen Matrosen-Unruhen, der daraus resultierenden radikalen politischen Umwälzungen im gesamten damaligen Deutschen Reich und als Konsequenz auf den Verrat der Revolution durch die rechten Führer der Mehrheits-Sozialdemokratie zur Jahreswende 1918/1919 gegründet wurde und an deren Spitze anfangs Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und Wilhelm Pieck standen.

Unter den Delegierten dieses vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 im Gebäude des preußischen Landtages zu Berlin tagenden Gründungsparteitages – also nur ungefähr 8 Wochen nach dem Ausbruch der Revolution auf den Wilhelmshavener Schiffen – waren übrigens auch aus Wilhelmshaven und Rüstringen entsandte Genossen vom Spartakus-Bund, von der USPD sowie von den IKD, die hier von Anfang an als Aktivste und Klassenbewussteste bei den revolutionären Kämpfen mit dabei gewesen waren und in den vordersten Reihen des Aufstandes gestanden hatten.

Der Kampf der Matrosen auf den Schiffen, in den Häfen und in der Reichshauptstadt und anderswo in Deutschland vor fast einem Jahrhundert findet und verdient noch heute unsere volle Anerkennung und Bewunderung. Wir sind stolz auf die revolutionären Blaujacken-Träger, denen Rosa Luxemburg einst den Namen „Sturmvögel der Revolution“ gab, und wir werden die rebellierenden Matrosen, Schiffsheizer, Seeleute von 1918 immer gegen jede verfälschende und herabwürdigende Darstellung von bürgerlichen Geschichtsrevisionisten offensiv verteidigen.

Das gilt ebenso für die mutigen Seeleute Albin Köbis und Max Reichpietsch, die den Aufstand in der Wilhelmshavener Kriegsflotte bereits ein Jahr zuvor – im Sommer 1917 – wagten und dafür als Meuterer von der Marine-Justiz hingerichtet wurden; einige Genossinnen und Genossen gedachten hier an gleicher Stelle der beiden bereits am 5. September diesen Jahres – dem 100. Jahrestag der Ermordung von Albin Köbis und Max Reichpietsch.

Und selbstverständlich fühlen wir uns auch den roten Matrosen und Arbeitern verbunden, die nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919 in Wilhelmshaven die von der rechten Führung der SPD verratene und abgewürgte Revolution vom November 1918 – wenn auch leider ohne Erfolg – neu beleben wollten. Obwohl oder gerade weil die hiesige bürgerliche –  und auch die sozialdemokratische – Geschichtsschreibung die Aufständischen des Januar 1919 bis auf den heutigen Tag verächtlich als „Spartakus-“ – und man höre und staune – „Putschisten“ bezeichnet, bleiben diese für uns Helden, die aufopferungsvoll und konsequent gegen Militarismus und kapitalistische Ausbeutung kämpften.

Es lohnt sich meines Erachtens, darüber nachzudenken, wie die Geschichte ganz anders verlaufen wäre, wenn damals in Deutschland – wie in Russland – die sozialistische Revolution, die sich die roten Matrosen von Wilhelmshaven und Kiel 1918 auf die Fahnen geschrieben hatten, gesiegt hätte. Welche Entsetzlichkeiten, wie viele Härten, Opfer und Verluste wären den Deutschen, den Völkern Europas und der Welt dadurch erspart geblieben!

Liebe Anwesende,

lasst uns bitte dafür sorgen, dass diese Gedenkveranstaltung zum Ausbruch der November-Revolution von 1918 heute Vormittag hier auf dem sogenannten Ehren-Friedhof keine einmalige Angelegenheit bleibt, sondern dass zukünftig alljährlich mit Veranstaltungen an die revolutionären Ereignisse erinnert wird, die sich im Sommer 1917, im Oktober/November 1918 sowie im Januar 1919 in Wilhelmshaven und in der Region zugetragen haben.

Lasst uns damit das Gedenken hochhalten an die heldenhaften revolutionären Soldaten, die damals den sinnlosen Befehlen ihrer Vorgesetzten trotzten und in fast aussichtsloser Lage in den Kasernen und auf den Schiffen – im wahrsten Sinne des Wortes – das Ruder herumrissen und den Kampf aufnahmen gegen den Krieg und für ein freies Leben ohne soziale Unterdrückung und Ausbeutung – und das alles unter den Bedingungen einer de facto Militär-Diktatur!

Lasst uns als Vermächtnis der Revolution von 1918 auch einem Geschichtsbild entgegentreten, das sich in dieser Stadt Wilhelmshaven immer mehr breitmacht und – wider besseres Wissen – die Ära des Hohenzollern-Reiches naiv glorifiziert, dessen angebliche Kulturleistungen für Wilhelmshaven preist und den aggressiv-militaristischen Charakter jenes Regimes als auch die in seinem Namen in den Kolonien in Afrika und in Fernost begangenen Verbrechen vollkommen ausblendet.

Schließen möchte ich meine Ausführungen mit einem meines Erachtens passenden Zweizeiler des Klassikers Friedrich Schillers:
Die Großen hören auf zu herrschen,
wenn die Kleinen aufhören zu kriechen!

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit!

Michael Clemens