Für eine an die Wurzel gehende linke Politik!

Bundeskoordinierungsrat

Überlegungen der KPF in Vorbereitung der Strategiekonferenz der Partei DIE LINKE am 29. Februar und 1. März 2020

Wir sind aufgefordert, unsere Überlegungen in Vorbereitung der Strategiekonferenz zu Papier zu bringen.

Wir werden nicht den Versuch unternehmen, alle von Katja Kipping, Bernd Riexiger, Jörg Schindler und Harald Wolf in ihrem Brief an die Parteimitglieder aufgeworfenen 12 Fragen zu beantworten. Wir greifen nur eine heraus:

»Wie sieht heute eine realistische und an die Wurzel gehende linke Politik für Klimagerechtigkeit und anderes Wirtschaften, für Frieden und globale Solidarität aus?«

Eine an die Wurzel gehende Politik bedeutet, dass sie radikal ist. Und nur eine solche halten wir in Anbetracht der kapitalistischen Zustände für realistisch.

Im o.g. Schreiben heißt es, »ab 2008 formierten wir uns als Partei der linken Alternative zur herrschenden Alternativlosigkeit des Neoliberalismus«. 12 Jahre sind seither vergangen. Niemals seit 1945 war die Welt so sehr von einer atomaren Katastrophe bedroht. Niemals wurde die Umwelt in einem solchen Ausmaß zerstört. Und zu keinem Zeitpunkt seit der Zerschlagung des Faschismus gab es so massive, bedrohliche faschistische Tendenzen. Die entscheidenden Ursachen für diese Gefährdung der Zivilisation liegen im Kapitalismus, besonders in den von ihm hervorgerufenen ungeheuerlichen sozialen Verwerfungen. So besitzen international 42 Milliardäre so viel wie die halbe Welt. In Deutschland verdoppelte sich in den letzten Jahren die Zahl der Einkommensmillionäre auf über 17.000. Rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt dagegen mittlerweile in Armut. Wir sollten den Mut haben, heute zu sagen: Entwickeln wir uns weiter als Partei der linken, sozialistischen Alternative zur herrschenden Alternativlosigkeit des Kapitalismus. DIE LINKE benötigt ein klares antikapitalistisches Profil.

DIE LINKE muss in vorderster Front stehen, wenn es um die sozialen Belange all jener geht, die dem Funktionsmechanismus der Profitmaximierung ausgeliefert sind. DIE LINKE darf nicht hinter dem zurückbleiben, was Hans-Jürgen Urban formulierte, der auf dem IG-Metall-Gewerkschaftstag die meisten Stimmen erhielt: »Wir leben heute in einem globalen Kapitalismus, der die Welt in Menschen mit und ohne Lebenschancen spaltet.« Dieser wachse, indem er die Natur zerstöre. »Die Überwindung dieses Modells ist zur Überlebensfrage der Menschheit geworden.«

Unser programmatisches Ziel zu verfolgen, den Kapitalismus zu überwinden, bedeutet zwingend, im Alltag auch für die kleinsten Schritte der Verbesserung der Lebensqualität der Menschen einzutreten und mit ihnen gemeinsam darum zu streiten. Der Berliner Mietendeckel ist ein solches Beispiel. Was wir nicht tun dürfen ist, Illusionen zu wecken, dass der Kapitalismus so ein menschliches Gesicht bekommen kann. Wir halten es mit Maxim Gorki, der sagte: »Der Kapitalismus kann nicht ›human‹ sein. Alles Menschliche – außer dem Viehischen im Menschen – ist ihm fremd.« Das Viehische im Menschen erlebt seine »Entfaltung« im Faschismus. Die zunehmende Ausgrenzung von Millionen Menschen aus der Gesellschaft – und diese erfährt durch die Digitalisierung einen weiteren Höhepunkt – spielt den Rechten in die Hände. Eine gute Sozialpolitik ist daher auch ein entscheidender Faktor im antifaschistischen Kampf, ebenso wie die internationale Solidarität. Und die Eigentumsfrage müssen wir wieder stellen.

DIE LINKE muss die Partei des Antifaschismus sein, die breiteste Bündnisse anstrebt und zugleich keinen Hehl daraus macht, dass für sie gilt, was Max Horkheimer formulierte: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.« Katja Kipping sagte in einem Tagesspiegel-Interview vom 29. September 2019, die entscheidende Aufgabe der Linken müsse es sein, »die Taktik der Rechten zu studieren, um dann dagegen halten zu können«. Nichts gegen das Studium von deren Taktik. Wesentlich ist, die Gesellschaftsstrategie maßgeblicher Kreise des Kapitals zu studieren und die Programmatik der Rechten, besonders der AfD, zu kennen. Die gefährliche Rechtsentwicklung – nicht nur hierzulande – ist eine Option, auf die bestimmte Teile des Kapitals für den Fall setzen, dass die Mechanismen der verbliebenen bürgerlichen Demokratie nicht mehr ausreichen, um bestmögliche Bedingungen für Profitmaximierung zu gewährleisten. Kaum jemand außer den Linken wird über diesen Zusammenhang sprechen. Dringend gebotener Antirassismus ist nur eine Facette des Antifaschismus.

DIE LINKE muss Partei des Friedens bleiben. Das heißt vor allem – wie im Parteiprogramm formuliert – die NATO abzulehnen und ebenso jegliche Auslandseinsätze der Bundeswehr. Für uns gilt in diesem Kontext der vom Bundesausschuss am 10. März 2019 gefasste Beschluss »Für friedliche Beziehungen zu Russland – der Vergangenheit und der Zukunft wegen«. In Anbetracht der äußersten Aggressivität der Trump-Administration und der NATO im Schlepptau des US-Imperialismus lehnen wir jegliche Äquidistanz entschieden ab. Wir tun dies in dem Bewusstsein, dass wir uns damit gegen essentielle Bestandteile der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland stellen, also gegen ihre Bündnisverpflichtungen in der NATO und ebenso gegen deren militärische Verpflichtungen in der EU. Da eine Regierungsbeteiligung im Bund nur möglich ist, wenn die Koalitionspartner die Staatsräson der BRD anerkennen, verbietet sich für die LINKE eine Regierungsbeteiligung im Bund. Es sei denn, die Koalitionspartner lehnten gemeinsam die NATO-Bündnisverpflichtungen, die militärischen Verpflichtungen innerhalb der EU und daher selbstverständlich Auslandseinsätze der Bundeswehr ab.

Wir wenden uns vor allem – aber nicht nur – aus den eben genannten Gründen gegen die zunehmenden, wenngleich eher illusorischen Träumereien führender Funktionäre aus Partei- und Fraktionsvorstand, Teil einer rot-rot-grünen Koalition im Bund zu werden.

DIE LINKE muss mehr als bisher antikapitalistische Klimapartei werden. Befragungen, die Studenten der TU Darmstadt im Rahmen eines Forschungsprojektes unter Teilnehmern der »Fridays for Future«-Demonstrantinnen und -Demonstranten durchführten, ergaben, dass diese den großen Unternehmen kritisch gegenüber stehen. 89 Prozent der Befragten sehen eine Schuld für die Klimakrise bei den Großkonzernen. Die Politik kommt mit einem Ergebnis von 85 Prozent kaum besser weg. Trotz der Demonstrationen fühlen viele Befragte sich ohnmächtig. Eine deutliche Mehrheit der Befragten attestiert Großkonzernen viel oder sehr viel Macht. Den Parteien wird deutlich weniger Macht zugeschrieben. Der Bevölkerung selbst, dem eigentlichen Souverän, spricht hingegen nur eine Minderheit viel oder sehr viel Macht zu. Hier muss DIE LINKE einhaken und aufklären. Aufklären auch darüber, dass die Reichen sich die Klimazerstörung nach wie vor finanziell leisten können und die Ärmeren und Armen dafür aufkommen sollen. So werden über zwei Drittel aller globalen CO2-Emissionen derzeit von 100 multinationalen Konzernen verursacht. Statt diese mit gesetzlichen Auflagen zu einer Veränderung zu zwingen, soll für normale Familien das Heizen teurer gemacht werden. Und DIE LINKE muss sich dem Anspruch stellen, die Klimavernichtung durch Krieg und Kriegsübungen zu thematisieren, um dazu beizutragen, dass Umwelt- und Friedensbewegung mehr als bisher aufeinander zugehen.

»Wir wollen dazu beitragen, dass aus passivem Unmut aktive Gegenwehr wird. Wir setzen Lohndumping, Sozialraub und dem Ausverkauf öffentlichen Eigentums Widerstand entgegen. Wir wollen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern und ringen um eine andere Politik. Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Internationalismus und Solidarität gehören zu unseren grundlegenden Werten. Sie sind untrennbar mit Frieden, Bewahrung der Natur und Emanzipation verbunden. Wir kämpfen für einen Systemwechsel, weil der Kapitalismus, der auf Ungleichheit, Ausbeutung, Expansion und Konkurrenz beruht, mit diesen Zielen unvereinbar ist.«, heißt es in unserem Parteiprogramm.

Es ist hohe Zeit, sich der Freiheit der Andersdenkenden zu besinnen und mit Rosa Luxemburg deutlich und vernehmbar zu sagen: Sozialismus oder Barbarei. Kaum jemand wird von uns erwarten, dass wir in der Lage sind, über die im Parteiprogramm skizzierten Züge einer nichtkapitalistischen Welt hinausgehende präzise Beschreibungen einer solchen zu liefern. Aber viele erwarten von uns das Bekenntnis zu einer nichtkapitalistischen Gesellschaftsordnung – und damit auch zur Legitimität des europäischen Sozialismus des 20. Jahrhunderts.

Seit dem Leipziger Parteitag 2018 ist immer wieder die Forderung zu vernehmen, so von René Wilke, Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), wir bräuchten ein neues Parteiprogramm. Zumindest aber wird die Gründung einer neuen Programmkommission ins Spiel gebracht. Eine solche fordert niemand wegen eventuell notwendig gewordenen Einzeländerungen. Die KPF bleibt bei ihrer auf dem Leipziger Parteitag formulierten Position: »Das geltende Parteiprogramm wurde in diesem Jahrhundert erarbeitet, auf dem Parteitag in Erfurt vom 21. bis 23. Oktober 2011 mit 96,9 Prozent beschlossen und beim Mitgliederentscheid vom 17. November bis 15. Dezember 2011 mit 95,8 Prozent bestätigt. Auf der Basis von Fragen und von häufig nicht untersetzten Feststellungen sowie ohne eine grundsätzliche Analyse, z.B. zu den Auswirkungen der Beteiligung der LINKEN an Landesregierungen, mit einem Programmerarbeitungsprozess beginnen zu wollen, wäre politisch zumindest fragwürdig.«

Diese Forderung nach einer Analyse wiederholten wir im Offenen Brief an die Partei- und Fraktionsvorsitzenden vom 5. September 2019. Wir bleiben dabei: Vor den Schlussfolgerungen, erst recht vor programmatischen, muss die Lageeinschätzung stehen. Und vor der Analyse äußerer Faktoren bedarf es der Einschätzung der Lage in der Partei sowie ihrer Handlungsfähigkeit. Auf der bevorstehenden Strategiekonferenz muss die Analyse integraler Bestandteil der Debatte werden.