Protestkundgebung gegen den Besuch des Bundespräsidenten Joachim Gauck am 23. September 2014 in Göttingen

Redebeitrag für den OV Göttingen der Partei DIE LINKE. (pst)

Liebe Kolleginnen & Kollegen, liebe Genossinnen & Genossen, an alle!

Ich stehe hier als Sprecher des Ortsverbands Göttingen der Partei DIE LINKE. Ich muß zugeben, daß ich lange gezögert habe, mich bereitzuerklären, hier zum Besuch des Bundespräsidenten in dieser Stadt eine Rede zu halten. Der Grund war recht einfach: Für mich ist dieser Joachim Gauck in seiner offensiven Selbstgerechtigkeit eine der unangenehmsten Erscheinungen des öffentlichen Lebens in unserem Land; ich empfinde körperlichen Ekel vor ihm. Obwohl ich weiß, daß ich mit dieser Affektlage nicht allein stehe, ist es doch schwer, unter diesen Bedingungen Worte zu finden, die bezüglich dieser Person sowohl angemessen als auch öffentlichkeitsfähig sind. Ich will es dennoch probieren.

Zunächst: Hat Joachim Gauck diesen von mir empfundenen Widerwillen gegen seine Person überhaupt verdient? Eine einfache Konsultation des deutschsprachigen Wikipedia-Artikels über ihn läßt mich sagen: Ja! Aufgewachsen in einer stramm antikommunistischen Familientradition – für die er nichts kann, aber an der er auch wie selbstverständlich festhält – parkt er sich im Freiraum der Theologie und dem evangelischen Kirchenwesen in der DDR. Erst als deren Ende absehbar ist, präsentiert er sich selbst als Bürgerrechts- und Friedensfreund.

Mit dem Untergang des ersten Sozialismus-Versuchs auf deutschem Boden beginnt seine große Zeit. Er wird als Sonderbeauftragter Leiter einer mithilfe bayerischer Geheimdienstler aufgebauten Behörde, die im Volksmund – wie andere Sachen aus dem Arsenal obrigkeitlicher Drangsaliererei: Riester-Rente, Hartz IV – nach ihrem Erfinder benannt wurde: Die Gauck-Behörde. Dieser Posten machte ihn schlagartig zum antikommunistischen Großinquisitor der großdeutschen Republik. Damit ist er wesentlicher Teil der mit dieser Behörde verbundenen Diffamierungen, Verfolgungen und maßgeblich verantwortlich für die Liqudierung des Wissenschaftsbetriebes der DDR und der Einführung der auch in dieser Stadt sattsam bekannten intellektuellen Weichspülerei. – Ich darf das sagen; ich habe schließlich hier meinen Doktor gemacht. – Dazu paßt, daß dieser Prediger sich dann ab WS 1999/2000 dann mit einer Lübecker Gastprofessur auch als zünftiger Wissenschaftler fühlen darf.

Er schreibt für das „Schwarzbuch des Kommunismus“, ist Erstunterzeichner der „Erklärung über die Verbrechen des Kommunismus“, der „Prager Erklärung“ und beteiligt sich an weiterer Rechts-gleich-links-Rabulistik. In der Zeit seiner ersten Kandidatur für das Bundespräsidentenamt 2010 ist er vehementer Unterstützer der antisozialen Agenda-Politik Gerhard Schröders; er befürwortet entschieden die Bespitzelung einer anti-neoliberalen Sammlungspartei durch Geheimdienste – jaja, alter Bürgerrechtler; er bescheinigt dem kryptofaschistischen Hetzer Sarrazin „Mut“ – das ist überhaupt eines seiner Lieblingswörter. Nicht nur in seinem Antikommunismus handelt er wie eine jener unerfreulichen Personen, die in einer Kneipenschlägerei dann mitmischen, wenn sie sich über die ersten Am-Boden-Liegenden hermachen können. In dem proletarischen Vorort-Milieu, in dem ich aufgewachsen bin, waren solche Leute geächtet. Die Bourgeoisie scheint hier laxere Verhaltensnormen zu haben.

2012 ist es dann soweit: Er darf als Nachfolger von Christian Wulff, den Merkel auf diesem Posten entsorgen wollte, Bundespräsident werden. Er kommt in ein Amt, das lange Zeit in der alten Bonner Republik mehr oder minder Grüßaugust-Charakter hatte. Man konnte dort Postkutschenlieder singen, wandern, im Garten der Villa Hammerschmidt grillen – und in lichten Momenten sogar den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung erkennen! Mit dem Possierlichen und Menschenfreundlichen war spätestens jetzt Schluß. Er läßt mitlerweile kaum noch eine Gelegenheit aus, in der er als alter Friedensfreund sein Großdeutschland zu den Waffen rufen kann, aber immer „verantwortungsvoll“ und „mutig“ – der Mann hat eben sein Predigerhandwerk gelernt, das muß man ihm lassen. Schon bei seiner Antrittsrede bei der Führungsakademie der Bundeswehr nennt er seine Landsleute, die nicht zuletzt in Angst vor einer Existenz in der Armseligkeit des von diesem Präsidenten mit abgefeierten Hartz IV eine irreguläre Beschäftigung beginnen, die sie zum Töten & Sterben nach Afghanistan führt: „Mut-Bürger in Uniform“. Über die Art des „Muts“ dieses Präsidenten, der in seinem langen Leben auch nicht irgendwas riskiert hat, sind wir uns ja bereits klar geworden. Man muß ihn wirklich nicht lieben, diesen Joachim Gauck!

Aber machen wir uns nichts vor: Nicht Helden machen Geschichte; Geschichte macht Helden. Das gilt auch für die schmuddelige Karikatur des Helden, den Maulhelden. Will heißen, Gauck säße nicht auf diesem Pöstchen des höchsten Staatsamts, wenn der nicht erfolgreich der Propaganda plappernde Papagei seiner Klasse wäre. Und diese Klasse zielt spätestens nach 1990 auf Weltgeltung, wie vor hundert Jahren auf einen „Platz an der Sonne“. Als Ultima ratio schließt dies den Krieg mit ein. Die von der deutschen Bourgeoisie maßgeblich mit verursachten Jugoslawienkriege waren ein früher Vorgeschmack. Im auch von ebendieser Bourgeoisie ebenfalls forcierten Ukraine-Konflikt sind wir dem Atomtod vielleicht noch einmal knapp von der Schüppe gesprungen. Wenn dem so ist, lag das ganz sicher nicht an dieser deutschen Bourgeoisie!

Für diese offensiv-militaristische Außenpolitik braucht man den richtigen Papagei! Gaucks Vorvorgänger Köhler – gewählt als „Wirtschaftsweiser“, um Schröders Agenda-Politik ideologisch zu flankieren – hatte sich noch verplappert, als er auf den ökonomischen Sinn der Kriegführerei hinwies. Niemand stirbt gern für den schnöden Mammon. Und nach der kurzen Wulff-Entsorgungs-Episode mußte dann eben ein berufsmäßiger Märchenerzähler ran, der das Töten & Sterben am Hindukusch, oder wo immer es der deutschen Bourgeoisie gefallen mag, in blumige Worte zu kleiden vermag: „Mut“, „Verantwortung“, und so weiter. Lassen wir uns von den unangenehmen persönlichen Zügen dieses Feldpredigers nicht irremachen:

Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Er heißt nicht Joachim Gauck, auch nicht Merkel, Steinmeier oder von der Leyen. Der Hauptfeind heißt deutscher Imperialismus!

Krieg dem imperialistischen Krieg!

Hoch die internationale Solidarität!