Zur Einschätzung des 5. Bundesparteitags (1. Tagung) der Partei DIE LINKE.

Meine kurze Einschätzung ist vor dem Hintergrund zu lesen, daß ich die Lage der Partei bezüglich ihrer stabilen Orientierung entlang des Erfurter Programms unmittelbar nach dem 5.niedersächsischen LPT (2. Tagung) im Februar als außerordentlich bedroht empfunden habe. Die Liquidierung fester Grundpositionen – initial in der Flüchtlingsfrage – schien, zumindest potentiell, auf der unmittelbaren Tagesordnung der Partei zu stehen. Diese Gefahr ist im Zusammenhang mit diesem Parteitag deutlich minimiert – sie zu bannen, wäre ohnehin unmöglich.

Eine wichtige Rolle messe ich hier dem Papier der beiden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger „Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie!“ bei. Bei aller Diffusität der Begrifflichkeit hat die positive Entgegensetzung eines „Lagers der Solidarität“ gegenüber r2g- Bündnis-Optionen alle großen Reden wie Beschluß- und Stimmungslage des Parteitags geprägt, dies natürlich auch vor dem Eindruck der Niederlage bei der sachsen-anhaltinischen Landtagswahl und den punktuellen guten Ergebnissen der hessischen Kommunalwahl. Es scheint, daß bei wesentlichen Teilen des „Apparats“ z.Z. die Einsicht platzgenommen hat, daß eine reine auf Regierungsbeteiligung abzielende Stategie eine solche „des sicheren Selbstmords“ (secarts.org) ist.
Indikatorcharakter hierfür hatte für mich nicht zuletzt die Rede Dietmar Bartschs. Daß dies nicht generaliter und „bis nach unten durch“ gilt, war aber etwa bei den Äußerungen aus den LVs Mecklenburg-Vorpommern und Berlin unübersehbar.

Hier sollte man sich jedoch nichts vormachen: Dieser Wechsel wesentlicher Teile der Parteirechten beruht nicht auf einem Wechsel hin zu einer revolutionären Strategie, sondern lediglich auf der Logik des Sprichworts vom Spatzen in der Hand und der Taube auf dem Dach. Die Option auf potentielle Regierungsposten wiegt den wahrscheinlicheren Verlust von Mandaten nicht auf. So ist nach besseren Wahlergebnissen in der Zukunft der neuerliche Wechsel auf r2g-Strategien unbedingt zu erwarten. Allerdings hat die „linke Wende“ dieses Parteitags – für beide Seiten positiv – den immer im Auge zu behaltenden Kollaps der Partei bis auf weiteres hinausgeschoben.

Als weiteren positiven Moment des Parteitags möchte ich die in meinen Augen gute Zusammenarbeit der Zusammenschlüsse des linke Flügels (AKL, KPF, GSD, SL) bemerken. Diese verdanken wir nicht zuletzt den Umrissen einer gemeinsamen theoretischen Grundlage im Marxismus; Ema.Li und fds haben dergleichen nicht. Ergebnis dieser Kooperation waren das weitgehende gemeinsame Durchsetzen von (Änderungs-)Anträgen einzelner linker Zusammenschlüsse und die m. E. relativ zufriedenstellende Besetzung von Vorstandsposten:
Zu erwähnen sind neben den KPF-Mitgliedern Johanna-Scheringer-Wright und Arne Brix u.a. die beiden AKL-Sprecher*innen Lucy Redler und Thies Gleiss mit ihren ausgeprägten Betriebskampferfahrungen. Positiv weiter die Verabschiedung des Rußlandantrages: trotz meiner anhaltenden Bedenken hinsichtlich seiner Formulierung war es äußerst wichtig, einen Beschluß durchgebracht zu haben, der hier die Richtung der Aggression klar benennt.

Negativ zu bemerken sind sicher: a) der hohe Anteil von bezahlten Funktionsträgern im Vorstand und b) der große Rest nicht behandelter Basis-Anträge, der zu recht für Unmut gesorgt hat, und der allein schon eine 1½. Tagung innerhalb des nächsten halben Jahres rechtfertigen würde. Weiter zeigten die Antragsberatungen, daß wir – und hier meine ich über die linken Zusammenschlüsse hinaus mehr oder minder die gesamte marxistisch fundierte Linke – einen für Vorkriegszeiten potentiell fatalen Analyse-Rückstand haben a) bezüglich des gegenwärtigen Klassencharakters Rußlands und b) hinsichtlich der Rolle des deutschen Imperialismus in und neben dem „westlichen“ Bündnissystem.

Insgesamt hinterläßt dieser Parteitag also den durchaus beruhigenden Eindruck, einen akuten Kollaps der Partei, wenn nicht verhindert, doch zumindest hinlänglich hinausgezögert zu haben, um diese Zeit zur notwendigen Bearbeitung programmatischer wie strategisch-taktischer Debatten nutzen zu können. Verschwenden wir sie nicht!
Peter Strathmann