Überlegungen zur Krise der Partei DIE LINKE und zur Rolle der KPF

„Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“.

Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Bd. 4, S. 474.

Die dauerhaft schwelende Krise der Partei DIE LINKE ist nach dem 2. Erfurter Parteitag in ein Stadium lediglich aufgeschobener, keineswegs aufgehobener Konfliktlinien getreten. War der persönliche und politische Umgang in der Partei schon lange vergleichbar mit dem auf einem Piratenschiff, so ist nun das Entermesser vom gelegentlichen Hilfsmittel der Konfliktklärung gewissermaßen zum Universalwerkzeug aufgestiegen. Durchstimmende Gelegenheitsmehrheiten bestimmen gegenüber Konsensfindungen im zunehmenden Umfang die Entscheidungs- und Beschlußkultur, was in einer pluralen Partei tendentiell heißt: in destruktiver Weise die Partei gegen die Partei zu benutzen. Diese Entwicklung kann  nun natürlich auf der Erscheinungsebene mit verschiedenen inneren oder äußeren politischen Ereignissen – die Sexismus-Debatte, die BGE-Frage, nicht zuletzt der russisch-ukrainische Krieg – in Zusammenhang gebracht werden, gleichwohl ist sie wesensmäßig in ihrem Charakter als Sammlungspartei selbst notwendig angelegt. Mit in Krisenzeiten der Partei wachsender persönlicher Konkurrenz im Hinblick auf Parteiämter, Mandate und bezahlte Stellen wächst zwangsläufig auch die Schärfe der Austragung dieser Konkurrenz.

Die Partei selbst ist ein historisches Produkt. Geboren in der Zeit der großen Konterrevolution aus der SED war der PDS der Weg zur Transformation in eine sozialdemokratische Partei, wie dies in den ehem. Warschauer-Vertragsstaaten – mit Ausnahmen – regelhaft wurde, aus zwei Gründen verstellt: basial dadurch, daß nach der massiven Deindustrialisierung des Territoriums der ehem. DDR dort eine neue Arbeiteraristokratie als originäre sozialdemokratische Trägerschicht gar nicht entstehen konnte; überbaulich dadurch, daß die SPD als Westpartei sich im Osten als „Pastoren-Partei“ organisatorisch ausbreiten konnte. Dies ließ die PDS in einem Klassencharakter verharren, den man vorsichtig als mit regionalem Ostbezug progressiv-kleinbürgerlich-sozialistisch bezeichnen kann. Dieser Kern machte es allerdings möglich, daß sich hier nicht zuletzt durch die Fusion mit der WASG zur Partei DIE LINKE ein Forum für die post-konterrevolutionäre Reorganisierung einer politischen Linken in der Gestalt einer Sammlungspartei bilden konnte, wozu ein bloßes buntes Spektrum sozialistischer und kommunistischer Kleinorganisationen nicht in der Lage gewesen wäre. Dies macht das historische und aktuell zu verteidigende Verdienst der Partei ebenso aus wie ihre latente Gefährdetheit insbesondere angesichts sich verschärfender nationaler wie internationaler Klassenauseinandersetzungen.

Im Gegensatz zu den in der vereinigten Partei entstandenen Zusammenschlüssen, die sich aus offensiven taktischen oder strategischen Zielstellungen innerhalb der Partei ergeben und für die also die Partei der gesetzte ausschließliche Handlungshorizont darstellt, ist die KPF als Erbe der historischen KPD gewissermaßen älter als die Partei – auch älter als die SED –, was mit bemerkenswerten Folgen in ihrer politischen Praxis verbunden ist: Zum einen ist sie aufgrund ihrer im wesentlichen defensiven Zielstellungen relativ gefeit davor, als Vehikel für karrieristische Interessen benutzt werden zu können. Es sei erwähnt, daß man von Genossinnen und Genossen anderer Zusammenschlüsse des linken Parteiflügels darum gelegentlich beneidet wird. Zum anderen sind Mitglieder der KPF eben nicht nur Mitglieder der Partei DIE LINKE, sondern auch Kommunistinnen und Kommunisten, d. h. in einen weiteren Handlungshorizont eingebettet. Tagespolitisch sichtbar wird dies daran, daß wir gegenüber Genossinnen und Genossen anderer kommunistischer Organisationen aus dem Erbe der historischen KPD – also insbesondere der DKP und der KPD / Die Rote Fahne – gezwungen sind, unsere Mitarbeit in einer nicht-kommunistischen Partei zu rechtfertigen. So enervierend das Antworten-Müssen auf Vorhaltungen wie „immer noch …?“, „wie lange noch …?“ auch sein mag, es erinnert uns immer wieder daran, daß unsere Arbeit innerhalb der Partei DIE LINKE aus einer für uns bindenden kommunistischen Position gründlich strategisch-taktisch begründet und bestimmt werden muß, soll sie glaubwürdig und konsistent sein. Diese Begründungen werden lokal-taktisch sicher sehr unterschiedlich und wechselnden Umfangs sein, sie lassen sich aber nicht mit einem Alternativlos-Setzen des Parteihorizonts bewerkstelligen, denn eines ist uns als Kommunistinnen und Kommunisten bei Strafe des politischen Untergangs absolut nicht gestattet: von Papageien des Klassenfeinds Belehrungen und von Renegaten Weisungen entgegenzunehmen. An dieser Grenze, die im wesentlichen durch das Erfurter Programm markiert ist, ist die Loyalität von Kommunistinnen und Kommunisten gegenüber Beschlüssen der Partei notwendig limitiert.

Und an dieser Grenze müssen wir dringender denn je unsere Arbeit in der Partei bestimmen. Sie wird sich nachwievor nach defensiven Vorgaben von Rückzugsgefechten zu richten haben: dem Kampf gegen das klassenpolitische Aufweichen und organisatorische Abrutschen der Partei, das sich verzögern, aber nicht verhindern läßt.  Auf keinen Fall sollte man dabei auf die Rechtfertigung ausweichen, daß man nicht verzögern müsse, was man nicht verhindern kann; auch der historische Zeitpunkt von Niederlagen ist niemals gleichgültig. Gefechte sind taktisch bestimmt; daher werden sich lokal sehr große Unterschiede eben der gebotenen Taktik ergeben: Es kann lokal möglich sein, auch bei großen inhaltlichen Differenzen nach wie vor auf der Basis des Erfurter Programms konsensuell zu arbeiten. Es kann auch die eskalative Lage eintreten, daß in Verteidigung des Erfurter Programms konfrontativ ebenfalls die Partei gegen die Partei verwendet werden muß. Und last but not least bleibt, insbesondere im Fall der lokalen Isolation und Handlungsunfähigkeit, für Kommunistinnen und Kommunisten auch der Weg, andere organisatorische Bindungen zu suchen. Der erste Weg ist der strategisch stärkste, der letzte der strategisch schwächste, da er unter den Bedingungen des Fehlens einer verbindlichen Alternative wiederum nur taktisch-lokal sein kann. Der offene Austausch innerhalb der KPF über die jeweilige lokale taktische Lage muß sichergestellt und möglichst organisatorisch verstetigt werden, um ein individualistisches Abbröckeln ins politische Nirvana zu verhindern.

Im Hinblick auf den stets einzukalkulierenden Kollaps der bis zuletzt zu verteidigenden linken Sammlungspartei muß neben dem negativen auch ein positives Ziel gesetzt werden. Dieses muß in der mittel- bis langfristigen Schaffung einer einheitlichen KP bestehen, die als Mittel einer revolutionären proletarisch-sozialistischen Umgestaltung der bestehenden Gesellschaft historisch unverzichtbar ist. Diese wird nicht vom Himmel fallen, sondern kann nur das Ergebnisse eines theoretischen wie praktischen multilateralen Annäherungsprozesses sein. Dieser wird für die KPF gegenüber der historisch nachwievor notwendigen, aber fraglos sehr kräftezehrenden Arbeit in der Partei DIE LINKE an Bedeutung gewinnen müssen. Die Mitglieder der KPF sollten – wo immer möglich – mit diesem Ziel alle Möglichkeiten der interkommunistischen politischen Arbeit wahrnehmen und – wo immer sie können – Handlungsfenster mit dieser Perspektive eröffnen.

 

KPF Göttingen, im Herbst 2022

 

Als Beschluß übernommen von der

Mitgliederversammlung der KPF Niedersachsen

23. Oktober 2022, Heideruh