Antikommunismus – über die Breite des Kampffeldes

Peter Strathmann

Referat auf der XIII. Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ 26. 5. 2022

„Breite des antikommunistischen Angriffs und Breite der Abwehr dagegen.“

Man wird hoffentlich nicht erwarten, daß ich in den geplanten 20 Minuten – ich fürchte, es können 30 werden – dieses Thema in seiner gesamten Dimensionierung werde darstellen können. Ich werde mich auf einzelne Elemente beschränken müssen; wenn die Komplexität der Problemlage vermittelt werden kann, ist viel gewonnen.

Ich beginne mit einem Zitat von Ellen Brombacher (2005): „Kern des Antikommunismus ist die bedingungslose Befürwortung des Privateigentums an Produktionsmitteln.“[1]

Das ist ganz sicher richtig. Wenn man sich vor Augen hält, was die Klasse von Produktionsmittelbesitzern für Blutbäder anzurichten in der Lage ist, wenn ihr Privateigentum daran auch nur in den Hauch der Gefahr kommt, angetastet zu werden – ich wähle willkürliche Beispiele: die Niederschlagung der Pariser Kommune 1871, den weißen Terror im Nachfeld der deutschen Novemberrevolution 1918 oder im finnischen Bürgerkrieg 1918, die Vernichtung der KP Indonesiens 1965/66 –, so kann man keine Zweifel haben: Die Erhaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln ist das unverhandelbare strategische Ziel der Monopolbourgeoisie, ohne deren Sicherung ihre Existenz unmöglich wird. Alle anderen proklamierten Ziele der bürgerlichen Revolution, die demokratischen und Freiheitsrechte, sind von Bedeutung, wenn sie im Hinblick auf dieses Ziel nützlich sind; anderenfalls sind sie expendable.

Allerdings: Klassenkämpfe haben mit Fußballspielen gemeinsam, daß sie nicht nur aus Revolutionen bzw. Torraumszenen bestehen. Wer so Fußball spielt, wird stürmen wie ein Bekloppter und turmhoch verlieren, entscheidende Spielzüge finden ebenso auf dem Feld und weitab von den Toren statt.

Und hier endet auch schon die Analogie zum Fußball: Der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist hochgradig asymmetrisch, was die erlaubten und verbotenen Spielzüge angeht; die tatsächliche Mannschaftszugehörigkeit ist über längere Zeit den meisten Spielern unbekannt – oft wissen sie nicht einmal, daß sie Spieler sind –; das Trikot kann mehrfach gewechselt werden – oder überhaupt erst angezogen werden –, sofern man nicht von vorn herein strategisch fest gebunden ist; das Spiel kann nur mit der Niederlage éiner Seite – der sonst regelhaft bevorteilten – beendet werden, hier reicht ein einziges Tor. Diese Partei muß also bestrebt sein, den Ball möglichst weit auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfelds zu halten und die Kämpfe dort zu führen.
Ich gehe hier davon aus, daß wir uns als Kommunisten im Sinne des Manifests der Kommunistischen Partei wie folgt verstehen: „Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“.[2] Somit ist der Antikommunismus nach meiner schiefen Fußball-Analogie das Bestreben der gegnerischen Partei, den Trikotwechsel zugunsten der kommunistischen Partei zu verhindern und damit auch die siegreiche Beendigung des Spiels für die übergroße Masse der Spieler. Außerhalb dieser Analogie: Antikommunismus ist ein Komplex ideologisch fundierter Taktiken der herrschenden Klasse im politischen Klassenkampf mit dem strategischen Ziel der frühzeitigen Unterbrechung erfolgreicher Bündnistaktiken des Proletariats. Es geht hier um die Isolierung seiner bewußtesten Elemente. Folglich berühren die daraus resultierenden Maßnahmen nicht lediglich die Interessen der zu Isolierenden, sondern auch – und vielleicht nicht weniger – die ihrer unmittelbaren politisch-persönlichen Nachbarschaft. Dies ist dialektischerweise wiederum verbunden mit Auswirkungen auf erzwungene nächste taktische Züge des Klassenfeinds selbst.

Ich kann also im folgenden nur versuchen, einige m. E. auffällige und charakteristische antikommunistische Spielzüge darzustellen. Ich werde dabei versuchen, auf weitere schiefe Fußball-Analogien zu verzichten. Und – nur um Irritationen vorzubeugen –: Ich denke dabei primär aus der Position des Klassenfeinds; anders kommen wir taktisch nicht weiter.

Anti-Einheitsfront: In revolutionären Situationen oder ähnlichen für die Monopolbourgeoisie existentiell gefährlichen Lagen ist eine Anti-Einheitsfront-Taktik die gebotene Vorlage der Maßnahmen, da nur eine Spaltung der Arbeiterklasse die Monopolbourgeoisie vor dem drohenden Untergang retten kann. So ist sie – unter ansonsten vor allem auch international recht unterschiedlichen Ausgangslagen – etwa in Deutschland sowohl nach dem 1. wie dem 2. Weltkrieg vorgegangen. In beiden Fällen waren rechte sozialdemokratische Führer die unentbehrlichen Hilfsmittel: Ebert, Noske, Scheidemann nach dem 1. WK; Schumacher, Ollenhauer nach dem 2. WK. Ohne diese Figuren und ihrem demagogischen Einfluß in der Arbeiterklasse wäre weder die Entfesselung des Freikorpsterrors noch die Adenauer-Restauration möglich gewesen. Leidtragende einer erfolgreichen konterrevolutionären Anti-Einheitsfront-Taktik sind nicht lediglich die isolierten, eingeknasteten und abgeschlachteten Kommunisten im Sinne des Manifests, sondern die gesamte Arbeiterklasse, nicht zuletzt auch die sozialdemokratischen Arbeiter, die unter den blumigen Reden ihrer rechten Führer wieder unter die Knute ihrer Ausbeuter kommen. Gegenwehr ist also gegen diese unmittelbarste und primitivste antikommunistische Taktik des Klassenfeinds nur als Einheitsfronttaktik über die ganze Breite der Arbeiterklasse und verbündeter werktätiger Schichten möglich, wobei diese Gegenwehr mit dem Vorteil der Möglichkeit des unmittelbaren offensiven Umschlagens und dem Klassensieg verbunden ist; revolutionäre Situationen sind schließlich Torraumszenen vor dem entscheidenden Tor. Es wird hier alles von der richtigen und entschlossenen politischen Führung der ökonomischen Klassenkämpfe einschließlich des richtigen Einsatzes der bewaffneten Mittel ankommen. Das ist naturgemäß schwierig, solange eine Arbeiteraristokratie existiert – also in imperialistischen Metropolen –; unmöglich ist es gleichwohl niemals

Der Verlauf der Geschichte leitet selbst zu den nächsten antikommunistischen Taktiken des Klassenfeindes über, die ich Anti-DDR I und Berufsverbote nennen möchte. Auf der Ebene des ökonomischen und politischen Klassenkampfs ist auf dem Territorium der späteren DDR eine Anti-Einheitsfront-Taktik des Klassenfeindes nicht zuletzt dank der Anwesenheit der Sowjet-Armee unterbunden und die Spaltung der Arbeiterklasse überwunden worden. Die damit verbundene Antifaschistisch-Demokratische Umwälzung erzwang eine vollständige Entmachtung der imperialistischen Monopolbourgeoisie. Auf dem Territorium der späteren BRD gingen diese politisch-ökonomischen Klassenkämpfe in den Jahren 1945-1947 verloren, nicht zuletzt dank des Eingreifens der West-Alliierten zugunsten der rechten Spalter-Sozialdemokratie sowie der Adenauer-Clique als Partei der Monopolbourgeoisie. Hier wird der international-nationale Doppelcharakter des Antikommunismus in Deutschland deutlich: Einerseits ist er ideologisch-politischer Frontabschnitt des Imperialismus gegen ein sozialistisches Lager, andererseits der einer konkreten Bourgeoisie eines imperialistischen Hauptlandes (Deutschland) im Kampf um das ihr nach ihrer Meinung zustehende Territorium. Da beide sich bildenden Regierungssysteme sich als legitime Repräsentanz der deutschen Nation betrachteten – die DDR zurecht, die BRD in selbstgefälliger und antidemokratischer Anmaßung der alten blutbeschmierten Herrscherklasse –, verlegten sich die Klassenkämpfe nach dem ost-westlich je unterschiedlichen Ausgang der sonstigen politisch-ökonomischen Kämpfe auf die nationale Frage. Die antikommunistische Taktik des Klassenfeinds tritt nun als Anti-DDR-Stoßrichtung auf. Repressionsopfer werden neben der ab 1956 illegalisierten Kommunistischen Partei etwa Wiederbewaffnungsgegner, nicht nur die FDJ mit dem von der Polizei 1952 erschossenen Philipp Müller – dem ersten Demonstrationstoten in der BRD –, sondern auch katholische Pazifistinnen wie Klara Maria Fassbinder[3] oder Christa Thomas (1954) – letztere überdies CDU-Mitglied –,[4] oder sozialdemokratische Gewerkschafter wie Viktor Agartz – zudem ein politischer Schumacher-Ziehsohn – wegen seiner FDGB-Kontakte (1957).[5]

Ich sagte vorhin, daß die antikommunistischen – und eben nicht nur gegen Kommunisten gerichteten – Maßnahmen dialektischerweise ihre Auswirkung auf weitere Maßnahmen haben, die von den Folgen der früheren erzwungen sein können. So auch hier: Die Politik des Kalten Bürgerkriegs[6] ließ sich als außenpolitische Isolationspolitik (Stichwort: Hallstein-Doktrin) nicht dauerhaft halten, die Wende mit der Brandt’schen Neuen Ostpolitik ließ sich nicht vermeiden, durfte aber nur ohne offenen Bruch mit dem antikommunistischen Gründungsdogma der BRD verwirklicht werden. Ähnliches gilt für die innenpolitische Stagnation in der BRD in den 60er Jahren, die fast notwendig eine Außerparlamentarische Opposition entstehen lassen mußte. Interessanterweise wird in dieser Phase ein taktischer Verbündeter sowohl der Apo wie der Bestrebungen zu einer Relegalisierung der KPD die in der Zeit der Großen Koalition oppositionelle FDP,[7] an sich die Partei der entschiedensten Befürwortung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Das wäre NB nicht möglich, wenn Strategie und Taktik dasselbe wäre – sowohl bei uns wie beim Klassenfeind.

An die Seite der Legalisierung einer DKP – ohne freilich das KPD-Verbot aufzuheben – stellte sich als Kleingedrucktes des Deals die Politik der Berufsverbote. Da es dem Klassenfeind wiederum um die frühzeitige Isolierung der bewußtesten Elemente der Arbeiterklasse ging, traf diese Politik nicht lediglich Kommunisten, sondern ebenfalls jede Menge sozialdemokratischer, parteiloser und irgendwie „undogmatischer“ Linker. Neben einem intendierten breiten Abschreckungseffekt hat ein solches Vorgehen allerdings für den Klassenfeind auch solche dialektischen Tücken, eine Breite der Opposition gegen diese Politik zu schaffen, die die geplante Isolierung von Kommunisten wiederum unterläuft. Peter Schneider schreibt in seinem halbfiktiven Roman „… schon bist du ein Verfassungsfeind“ (1975): „Ist ein Angestellter aber erstmal zum Verfassungsfeind erklärt, dann kann er eigentlich nur noch einer werden.“[8] Dies markiert also auch eine Grenze dieser Politik. Konnte man auch in den 70er Jahren davon ausgehen, daß die Masse der Berufsverbotsmaßnahmen für den Betroffenen verdeckt stattfanden,[9] so ist dies jetzt ganz offensichtlich Usus, allerdings mit dem Nachteil für den Klassenfeind, daß Maßnahmen, von denen man nicht weiß, daß sie stattfinden, keine der angestrebten Abschreckungswirkungen entfalten. Dies rechnet allerdings die Wirkung diffusen Wissens noch nicht ein. Dies sollte auf dieser Konferenz vielleicht an der geeigneten Stelle diskutiert werden.

Festzuhalten bleibt: Jede dieser antikommunistischen Maßnahmen enthält das dialektische Potential vom Wechsel von Dunklem in Helles und umgekehrt. Dies entlastet den Antikommunismus als zielgerichtetes Handeln moralisch keineswegs: Es gibt keinen demokratischen Antikommunismus. Antikommunismus ist per se antidemokratisch, weil er großflächig demokratische Debatten unterbricht, im nicht diskutierbaren Interesse einer verschwindend kleinen Minderheit von Ausbeutern.

Eine sehr gute syrische Freundin und Genossin hat mich auf weitere Aspekte des antidemokratischen Charakters des Antikommunismus aufmerksam gemacht: die implizite Förderung des religiösen Fundamentalismus und seiner politischen Ausformung. Wo die Debatte um die gesellschaftlichen Ursachen von Elend und Verzweiflung unmöglich ist, werden die Elenden und Verzweifelten auf obskurantistische Erklärungsmodelle zurückgreifen, da ihnen eine Auffassung des eigenen Erlebens als Nicht-Elend und Nicht-Verzweiflung materiell objektiv verschlossen ist. Der Aufstieg des islamischen Fundamentalismus fällt nicht zufällig mit dem Niedergang des internationalen sozialistischen Lagers zusammen. Der Antikommunismus ist somit nicht nur antidemokratisch in einem modernen Sinne, er ist darüber hinaus antiaufklärerisch, also reaktionär bis ins Vormoderne hinein. Ich möchte zwei Beispiele aufführen:

Indonesien beherbergte bis zu den Verfolgungen und Massakern 1965/66 die stärkste KP der Welt außerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft. Ich habe mir sagen lassen – ich war leider nie in Indonesien –, daß man als Besucher des Landes regelmäßig von Gesprächspartnern die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit gestellt bekommt. Indonesien ist zwar ein mehrheitlich islamisches Land, aber kein islamischer Staat; offiziell ist eine von fünf großen Religionen verpflichtend, darunter herrscht eine inoffizielle große religiöse Diversität. Die Frage selbst ist also nicht uninteressant. Man solle sich aber hüten, als Antwort „atheistisch“ zu geben, weil man daraufhin als Kommunist verdächtigt werde. Die an sich lediglich aufgeklärte Beantwortung der Frage nach einer Weltanschauung jenseits religiöser Traditionen ist also bereits durch den Antikommunismus delegitimiert.

Afghanistan: Auf die erfolgreiche imperialistische Destabilisierung und Bekämpfung der (Demokratischen) Republik (1978-1992) erfolgte nicht etwa der Versuch der Errichtung einer säkularen bürgerlich-demokratischen und kapitalistischen Republik, die objektiv unmöglich ist, sondern ein Karussell immer verrückterer Gottesstaaten, das bis heute fröhlich rotiert. Der Imperialismus zeigt hier, worum es ihm im Kern geht, nämlich um den Erhalt seiner Ausbeuterordnung. Die Werte der Aufklärung sind für den Imperialismus dabei expendable, insbesondere, wenn nur die Roten für ihre Durchsetzung sorgen können.

Ich komme zum post-konterrevolutionären Deutschland zurück, wo in der Anti-DDR-II-Taktik des Klassenfeinds ebenfalls antiaufklärerische Elemente eine Rolle spielen, nämlich eine krude faktenresistente historische Täter-Opfer-Dichothomie und -zuschreibung: Wer Kommunist ist, ist zwangsläufig Täter, selbst wenn er – wie Roland Lötzsch – Ende der 1950er Jahre nach einem politischen Verfahren in Bautzen II eingesessen hat.[10] Der Antikommunismus dieser Taktik ist offensichtlich. Es geht dem Klassenfeind strategisch um die Delegitimierung eines Sozialismusversuchs auf „seinem“ Territorium (Zur Erinnerung: dies ist eine tendentiell finale Torraumszene!) durch Isolierung möglichst aller, die positive Erlebnisse damit verbinden und sie äußern könnten. Dies ist ein sehr ehrgeiziges Unterfangen, denn es stellt eine ganze Population unter Generalverdacht und wird politisch-ideologisches Seitenstück zur sonstigen ökonomischen Diskriminierung des annektierten Geländes. Auch wenn dies kontrovers diskutiert werden kann, enthält auch diese Kampflage m. E. wiederum Elemente einer nationalen Frage, nämlich die nach einer Ost-Nation als der proletarischen taktischen Linie einer Abwehr des antikommunistischen Angriffs. Wenn dies richtig ist, passen sowohl die Angriffe auf die FDJ zuletzt auf der LL-Demo 2021 hierzu wie etwa der schon mit der Konterrevolution erfolgte Aufbau faschistischer Schläger-Banden und später der einer Ost-AfD, jeweils mit entscheidender Beteiligung von West-Kadern. Das populäre Bild vom braunen Ossi könnte durchaus Teil der antikommunistischen Anti-DDR-Linie des Klassenfeinds sein. Die „antitotalitaristische“ Rechts-gleich-links-Nebelwirtschaft macht dies ideologisch glatt gangbar. Dies auch als Fußnote zu Antikommunismus als Anti-Aufklärung.

Ich leite zum nächsten und hier (vorerst) letzten Punkt der vorgestellten antikommunistischen Taktiken über: Anti-Antifaschismus. „Düsse verdammden Naziverfolchden!“ – Dies kenne ich seit Kindertagen aus einem im Faschismus stabilen und durchaus moderat widerständigen sozialdemokratischen proletarischen bis proletaroiden ländlich-westfälischen Vorortmillieu als ganz normalen Fluch, der kontextunabhängig vorgebracht werden konnte, also etwa auch, wenn der Fußball von Nachbarsjungen in die Fensterscheibe ging. Ich habe das lange nicht verstanden: Wie können diese Sozialdemokraten, die ganz gewiß Feinde der Nazis waren und die ihren Nicht-Verfolgten-Status zum Teil ihrer eigenen sozialen Stärke verdankten, wie können die so über Nazi-Verfolgte reden? Bis es mir klar wurde: Dies ist der Reflex der Spaltung der antifaschistischen Traditionszusammenhänge – insbesondere der VVN – durch die rechten SPD-Führer im Zuge der antikommunistischen Kampagne in der zweiten Hälfte der 1940er und Anfang der 1950er Jahre in den Westzonen, bzw. der BRD und West-Berlin. Man ist nicht zusammen in éinem Verein mit Kommunisten = „Naziverfolchden“.

Das ist m. E. die für uns gefährlichste Infamie des Antikommunismus: Er ist objektiv anti-antifaschistisch. Davon ausgehend, daß Dimitroff und die Beschlußlage des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale die Bedeutung des Faschismus im Klassenkampf im wesentlichen richtig abbilden, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß die Monopolbourgeoisie ihre Herrschaft in der Gestalt der faschistischen Diktatur als bevorzugter Staatsform zu realisieren gedenkt, wie ebenso ihre Neigung zum Kriegführen, mit dem Laufe der Zeit. Für Kommunisten wird damit die antifaschistische Volksfront die entscheidende Taktik nicht nur zu Rettung der eigenen revolutionären Option, sondern auch zur Rettung so ziemlich aller kulturellen, demokratischen, aufklärerischen und humanen Errungenschaften der bisherigen Menschheitsgeschichte. Auch für Nicht-Kommunisten ist die antifaschistische Volksfront das Bündnis zum Schutz ihrer Lebensinteressen, sofern sie nicht ausschließlich in der Sicherung der Monopolprofite bestehen.

Der Anti-Antifaschismus ist eine ideologisch-politische Waffe der Monopolbourgeoisie zur frühen Verhinderung antifaschistischer Volksfronten. Man hüte sich zu glauben, angesichts der Monstrosität des Faschismus könne eine solche Spaltung nicht gelingen. Im unmittelbaren historischen Nachfeld von Faschismus und Krieg war es trotz unmittelbarer Anschauung der Monopolbourgeoisie möglich, antikommunistische Spaltungen sowohl an der Frage der Rechte der Naziverfolgten wie an der Frage der Remilitarisierung des deutschen Imperialismus durchzuführen. Aktuell sollte dies ausgerechnet etwa an der „Gewaltfrage“ oder am Bestehen subkultureller Differenzen schwieriger sein? Wohl kaum! – Ich halte den Anti-Antifaschismus für die derzeit gefährlichste Erscheinung des Antikommunismus. Wir können das ja im Folgenden diskutieren.

Fazit: Der Antikommunismus ist ein Komplex ideologisch-politischer Taktiken der Monopolbourgeoisie zur Unterbindung der Bündnistaktiken der Arbeiterklasse. Er tangiert notwendig Lebensinteressen weiterer anderer Volksteile. Diese werden dabei wiederum zu wichtigen Verbündeten für demokratische anti-antikommunistische Taktiken der Arbeiterklasse, wie auch immer sie konkret auszusehen haben. Ein gewisser Nachteil zu ihrer Entwicklung ist eben, daß dieses Verbündeten nur schwer vor dem Angriff des Klassenfeinds gesammelt werden können, sie vielmehr erst duch ihn selbst sichtbar werden. Hier muß unser präventives taktisches Verständnis erheblich geschärft werden.

Nachtrag: Ich war mir lange unsicher, ob ich hier Anti-Stalinismus als Erscheinung des Antikommunismus im Sinne der Definition – Taktik des Klassenfeinds zur Unterbindung proletarischer Bündnistaktiken – anführen soll. Zum einen ist der Begriff, der hier negiert werden soll – ‘Stalinismus’ –, ein inhaltsloser Leerbegriff; zum anderen sind die historischen Vorgänge etwa der Großen Säuberung auch und gerade von unserer Seite ganz sicher nicht vollständig und in jeder Einzelheit verstanden und damit auch notwendiger Gegenstand weiterer Debatten unter Kommunisten, die man nicht einfach mit einer antirevisionistischen Bekenntnismeierei unterbinden darf und kann.

Eine Anekdote aus der Vorbereitungsgeschichte dieser XIII. HFK, die aber genau diese Funktion des Anti-Stalinismus als Antikommunismus im Sinne der Definition illustriert, hat mich aber davon überzeugt, ihn hier als weitere antikommunistische Taktik des Klassenfeinds aufzuführen. Der Referent, der ursprünglich als Zeitzeuge und ehemaliges Repressionsopfer zum Thema KPD-Verbot vorgesehen war – sein Name tut hier nichts zur Sache –, sprang nach anfänglicher Zusage wieder ab mit der sinngemäßen Begründung, er wolle mit seiner Teilnahme nicht eine bizarre Sekte aufwerten, die nach wie vor einen positive Bezug auf die Massenmörder Stalin und Mao nähme.

Hier zeigt sich das taktische Ziel des Klassenfeinds in Richtung auf präventive proletarische Bündniszerstörung in nuce: Eine notwendige historische Debatte unter Kommunisten wird ausgelagert unter der Prämisse der bereits stattgefunden habenden Ergebnisfindung des Klassenfeinds. Daß dies nun gerade im Zusammenhang mit dem Thema der Konferenz – Antikommunismus – stattfindet, macht die Sache beinahe überdeutlich: Anti-Stalinismus ist eine antikommunistische Taktik mit dem Ziel der Unterbindung des „Bündnisses der Kommunisten mit sich selbst“, d. h. der Fähigkeit der Kommunisten, die Führung der die Arbeiterklasse betreffenden Probleme mit sich selbst im Sinne der Klasse theoretisch zu debattieren und praktisch zu lösen. Unsere Gegentaktik wäre etwas, was wir ohnehin anstreben und erreichen müssen, wenn wir das ernstnehmen, worüber wir sprechen: die handelnde Einheit der Kommunisten. Diese Konferenz könnte thematisch eine gute Grundlage hierfür bilden.

Und Nachtrag 2: Dieses Referat ist deutlich vor Ausbruch der offenen Kampfhandlungen zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine konzipiert worden. Die Rolle, die der Antikommunismus in diesem vielschichtigen internationalen Konflikt als ideologische Waffe spielt, konnte nicht mehr analysiert und verstanden werden. Zweifellos spielt er eine nicht geringe Rolle, wie wir in Auseinandersetzungen u. a. um Thälmann-Denkmäler und Hammer-&-Sichel-Flaggen – oder gleich der roten Fahne der Arbeiterklasse überhaupt – im eigenen Land sehen können. Berücksichtigt man den politischen Kern des Antikommunismus, die „bedingungslose Befürwortung des Privateigentums an Produktionsmitteln“, so ist mir allerdings Stellenwert und Verknüpfung dieses Elements in der Propaganda eines Krieges ohne die direkte oder indirekte Beteiligung einer Armee der Arbeiterklasse nicht völlig klar. Wichtig erscheint mir aber folgendes: Antikommunismus ist qua obiger Bestimmung immer ein strategisch bedeutsamer Spielzug des Klassenfeinds. Er führt ihn nicht ohne Grund aus. Wir können in diesem Konflikt als Kommunisten unsere Parteinahme unfehlbar daran festmachen, wer diesen Spielzug spielt und wer nicht.

Peter Strathmann, Wähler*innengemeinschaft Göttinger Linke / KPF


[1]Ellen Brombacher: Aktuelle Aspekte des Antikommunismus. (Mitteilungen des KPF 11/2005). In: Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold, Friedrich Rabe, Werner Wüste (Hgg.): Klartexte. Beiträge zur Geschichtsdebatte. Berlin 2009, S. 203ff., hier S. 205.

[2]MEW Bd. 4, S. 474.

[3]Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Deutsche Geschichte in politischen Prozessen 1951 – 1968. Berlin 2000, S. 55ff.

[4]Ebd., S. 131ff.

[5]Ebd., S. 159ff.

[6]Zum Begriff Josef Foschepoth: Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg. Göttingen 22021, S. 345: „ Der Kalte Bürgerkrieg war ein Sonderkonflikt im Kalten Krieg. Gemeinsam war der Kampf gegen den Kommunismus bzw. den Imperialismus der jeweils anderen Seite. Deutlich unterschieden sich jedoch die langfristigen Ziele und Strategien im internationalen Kalten Krieg und im nationalen Kalten Bürgerkrieg. Während es im Kalten Krieg um die Stabilisierung und Sicherung der neu hinzugewonnenen Macht- und Einflusssphären auf der Basis der Teilung Deutschlands ging, ging es im Kalten Bürgerkrieg um die nationale Legitimation der doppelten Staatswerdung in Deutschland. Ein neuer deutscher Nationalismus entstand, ein ‘antikommunistischer Nationalismus’ in der Bundesrepublik, ein ‘antiimperialistischer Nationalismus’ in der DDR. Beide zielten auf die Überwindung des Status quo. Im Westen: ein ‘Dreigeteilt niemals!’, von Bonn bis Königsberg. Im Osten: ein sozialistischer Staat von der Oder bis zum Rhein. Beides blieb Illusion.“

[7]Rudolf Schuster: Relegalisierung der KPD oder Illegalisierung der NPD? Zur politischen und rechtlichen Problematik von Parteiverboten. In: Zeitschrift für Politik, Neue Folge 15/4 (1968), S. 413ff.

[8]Peter Schneider: …schon bist du ein Verfassungsfeind. Das unerwartete Anschwellen der Personalakte des Lehrers Kleff. Berlin 1975, S. 62.

[9]Ebd., S. 28f.

[10]Roland Lötzsch: Die Opfer und die Täter. Gedanken von einem, der in Bautzen saß. (Neues Deutschland 20./21. 5. 2006) In: Ellen Brombacher et al.: Klartexte (a. a. O.), S. 190f.