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„Ich werde kämpfen wie ein Löwin“: Warum Sylke Jarosch in den Landtag will

aus dem Göttinger Tageblatt vom 13. August 2022

Was zu viel ist, ist zu viel. Für die Krankenschwester Sylke Jarosch war es der Versuch der niedersächsischen Landesregierung, eine Pflegekammer einzurichten. Die verpflichtende Mitgliedschaft ging ihr gehörig über die Hutschnur. Das sahen Zweidrittel der Angehörigen der Heilberufe ähnlich. Die Kammer geriet angesichts geharnischter Proteste zum Rohrkrepierer. Jarosch entschied sich im Laufe des Abwehrkampfes, politisch aktiv zu werden. In ihrem Fall für die Partei Die Linke. Warum? „Weil uns neben der Gewerkschaft die Linke zur Seite stand“, begründet die 58-Jährige ihre Entscheidung. Bei der Kommunalwahl 2021 ließ sie sich für den Gemeinderat Gleichen aufstellen. Mit Erfolg. Seither arbeitet sie in dem Gremium mit. Jetzt kandidiert sie sogar für den Landtag – und das im Wahlkreis 14 (Duderstadt), einer Hochburg der CDU.

Das Licht der Welt erblickte Jarosch am 22. Januar 1964 im thüringischen Gotha. Dort wuchs sie auf, ging zur Schule, absolvierte in Jena und Weimar ein Fachschulstudium zur Krankenpflege und arbeitete im Kreiskrankenhaus Gotha auf einer Intensivstation. Das deutsche Schicksalsjahr 1989 stellte auch für die damals junge Frau die Weichen neu. Sie floh aus der DDR, weil sie Angst hatte, interniert zu werden. „Ich war schon immer systemkritisch“, lässt Jarosch wissen. Die Flucht über die Tschechoslowakei sei nicht ungefährlich gewesen. Jarosch berichtet von Schüssen und einer gehörigen Portion Angst. Letztlich war sie eine der letzten Flüchtlinge, denn zwei Tage später fiel die Mauer. Bei einem Onkel in Göttingen konnte die Krankenschwester unterkommen und bei der Uniklinik beruflich einsteigen.
Immanent systemkritisch also? Für Jarosch gehört eine nachfragende Einstellung vor allem zu politischen Entscheidungen zum Leben dazu. Es sei wichtig, nicht alles als gegeben hinzunehmen, mehr als eine Meinung einzuholen, mehr als einen Radiosender zu hören. Das gelte für Corona ebenso wie für den Krieg in der Ukraine und 1000 andere Sachen.

Was ihr besonders am Herzen liegt, ist das Gesundheitssystem. Im Gegensatz zur DDR stehe das Wohl des Patienten in der Bundesrepublik keineswegs im Vordergrund. Das gelte umso mehr, seitdem etliche Krankenhäuser und Pflegeheime privatisiert worden sind. „Der Mensch ist nur noch eine Ware, aus dem sich Rendite und Maximalgewinne schlagen lassen. Am Ende kommen Aktionäre und schöpfen ab“, empört sich Jarosch.

Unerträglich sei für sie auch das Einsperren alter Leute in der Corona-Pandemie in den Einrichtungen gewesen, merkt sie an. Was also wäre zu tun, um den Menschen im, wie sie sagt „kaputt gesparten“ Gesundheitswesen, wieder in den Mittelpunkt zu rücken? „Gesundheitsversorgung ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und gehört in die öffentliche Hand“, sagt Jarosch und spricht von einer nötigen „Rekommunalisierung“ privater Kliniken und Heime.

Die 58-Jährige sieht sich als eine Frau „aus der Mitte unserer Gesellschaft“. Für die Menschen im Wahlkreis 14 würde sie als Landtagsabgeordnete „wie eine Löwin für eine gute Pflege kämpfen, die sich jeder leisten kann“. Außerdem bedürfe es einer Entlastung pflegender Angehöriger. Um dieses Ziel zu erreichen, sei der optimale Weg eine Zusammenarbeit möglichst aller Parteien im Sinne des Gemeinwohls. Im Gemeinderat Gleichen laufe es in der Regel schon nach diesem Prinzip und Gemeindebürgermeister Dirk Otter (SPD) sei ein wirklich guter Bürgermeister, lobt Jarosch.

Was nicht geschehen dürfe, seien eine weitere Verarmung sowie eine Spaltung der Gesellschaft. Vor allem durch Corona sei eine beängstigende Aggressivität entstanden. Welche Erklärung gibt es dafür? „Der Mensch besteht zu 75 Prozent aus Wasser, der Rest ist Angst“, definiert Jarosch die Ingredienzen. Die Furcht, im Winter nicht mehr richtig versorgt zu werden oder als Kritiker staatlicher Corona-Maßnahmen als Außenseiter dazustehen, vergrößere Angst und Aggressivität.
Die kommunalpolitische Arbeit macht ihr Spaß, wie sie sagt, auch wenn damit viel Arbeit verbunden sei. Da bestehe schon die Gefahr, dass ihr insektenfreundlich gestalteter Garten unter dem Zeitaufwand leidet. Aktuelle Themen für Groß Lengden – in dessen Ortsrat Jarosch als beratendes Mitglied sitzt – seien die Aufstellung der umstrittenen 5G-Sendemasten und eine Sanierung der Ortsdurchfahrt, die sich wegen schlechter Planung verzögere. Einmal angenommen, sie wäre Ministerpräsidentin von Niedersachsen – dann? „Dann würde ich den Kommunen mehr unter die Arme greifen, damit sie zum Beispiel mehr Geld haben für die Schulen.“