„Bezahlbares Wohnen in Göttingen?“

Karlheinz Paskuda

Was leistet die Stadtgesellschaft, um die Wohnungsnot auch in dieser Stadt zu bekämpfen?

DER KAMPF UM BEZAHLBAREN WOHNRAUM

Erst einmal: Jede Wohnung ist bezahlbar. Nur eben nicht für Menschen mit wenig Geld. Bezahlbar wird zudem bundesweit unterschiedlich definiert: In Mannheim mit 7,50 Euro kalt, in Ludwigshafen gelten 6 Euro als bezahlbar, in München vermutlich 10 bis 12 Euro

Eine Definition ist aber allgemeingültig: Die Miete inklusiver Nebenkosten darf 30% des Einkommens nicht überschreiten.  Und nach dieser Definition fehlen auch in Göttingen nach Berechnung des Hans-Böckler-Institutes (2018) ca 3500 Wohnungen!
Durch hohe Mietpreissteigerungen entfernen wir uns auch in Göttingen vom Ziel, genügend bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen: Die Mieten stiegen in der Stadt von 2012 bis 2020 um 47 % (bei den VONOVIA-Gebäuden sogar um 67 %!), Wohnungen fallen aus der Sozialpreisbindung, neue bezahlbare Wohnungen werden nur in geringem Ausmaß hergestellt: In den Jahren 2018 bis 21 schätzungsweise 40 bis 50 Stück.

Gut in Göttingen und stabilisierend: Wir haben noch die kommunale Wohnungsbaugesellschaft SWB, die Wohnungsgenossenschaft und die Volksheimstätte mit insgesamt ca 11.000 Wohnungen.
Schlecht in Göttingen: Adler – jetzt LEG und VONOVIA haben mit ca 1300 bzw. 1440 Wohnungen preiswerten Wohnraum aufgekauft und teilweise zu Wohnungen im hohen mittleren Preisbereich „modernisiert“. VONOVIA-Wohnungen finden wir auf Immoscout zu Kaltmieten um die 9 Euro, 40 bis 50 Prozent teurer als die vergleichbaren Wohnungen der SWB und der Genossenschaften.

Was passiert in Göttingen, um den fehlenden bezahlbaren Wohnraum zu beschaffen? OB Broistedt spricht davon, „wir seien auf einem guten Weg“. Aber die einzige Massnahme, auf städtischen Grundstücken eine 30%-Quote  vorzuschreiben, löst das Problem nicht annähernd. 3500 Wohnungen auf diese Art zu bauen, bedeutete, ca 11.000 Wohnungen in nächster Zeit durch private Investor*innen oder die SWB und die Genossenschaften auf städtischen Grundstücken zu bauen. Jede*r weiss, das ist nicht machbar. Es gilt zudem nur für Gelände, auf dem es vor dem Beschluss noch keinen Bebauungsplan gab....

Die „Deutschland-Koalition“: Niemand weiss nix. In der CDU und FDP erwartbar, aber auch in der SPD scheint es keinerlei Fachkompetenz zum Thema „bezahlbares Wohnen“ zu geben. Die Verwaltung ist blockiert mit der Abberufung der Baudezernentin, nachdem zwei Jahre vorher bereits die Arbeit des damaligen Baudezernenten beendet wurde.

Die „Neue Wohnungs-Gemeinnützigkeit“  (NWG) kommt 2023, verlautet aus der Bundes-Ampelregierung. Eine Chance auch für Göttingen. Die dann gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften erhalten eine stärkere Förderung, zahlen weniger Steuern, können sich auf den Bau bezahlbaren Wohnraums konzentrieren. Zwar wird bundesweit, so auch in Göttingen, bezweifelt, dass die etablierten kommunalen Wohnungsunternehmen trotz steuerlicher Vorteile die NWG beantragen werden, da sie sich dann auch transparenter machen müssten und eine effiziente Mietermitbestimmung ein Kriterium für die NWG wird. Da gebe es dann in wesentlichen Bereichen keine „Geschäftsgeheimnisse“ mehr und die Unternehmen müssten öffentlich vorrechnen, warum sie wirklich so teuer bauen müssen, wie sie vorgeben; es gäbe auch keinen geheim tagenden Aufsichtsrat mehr...
Aber in Göttingen müsste man jetzt schon beginnen zu planen, wie wir eine zusätzliche gemeinnützige Wohnungsbau-Gesellschaft aufbauen und mit Anfangskapital ausstatten.

Hoffen auf die Enteignung von VONOVIA: Das Geschäftsprinzip VONOVIA ist gesellschaftlicher Irrsinn: Ca. 180 Euro pro Wohnung und Monat gehen von der Miete direkt an die Aktionär*innen: der Betrag, den die Wohnungen teurer sind als Wohnungen der SWB und der Genossenschaften. Wir können uns vehement für die Enteignung und dann Überführung der Wohnungen in Gemeineigentum (z.B. der SWB) einsetzen.

Was klappt nicht in der Wohnungspolitik in Göttingen?
Leider viel.
Die Peinlichkeit, VONOVIA, Adler, vielleicht bald auch die LEG, im Bündnis für bezahlbaren Wohnen zu finden, macht Göttingen bundesweit lächerlich. Diese Mietpreistreiber, die mit dem hochtreiben der Mieten und zusätzlich mit den Nebenkosten (sie nennen es „add value“) Millionengewinne machen, sind keine Bündnis-Partner*innen!
Und wir brauchen endlich einen qualifizierten Mietspiegel. Der muss bis 2024 bundesweit in allen Städten über 100.000 Einwohner*innen ohnehin eingerichtet werden. Dieser qualifizierte Mietspiegel senkt keine Mieten, aber er schafft Rechtssicherheit und bewahrt uns vor der Praxis, dass Konzerne auf Vergleichswohnungen des eigenen Konzernes zur Begründung vom Mieterhöhungsverlangen hinweisen können.
Was bisher zu dem nicht klappt und absolut unsozial ist: Es gibt keine Milieuschutzsatzung, aber das Gegenteil davon schon: eine Erhaltungssatzung für die Oststadt, offenbar, um zu verhindern, dass hier Wohnraum für Menschen mit weniger Geld geschaffen werden kann. Pervers.
Was auch nicht mehr geht: Dass die SWB sogar ca 800.000 Euro ihres „Ergebnisses“ an die Stadt abführt. Das Gegenteil muss angedacht werden: Ein kommunales Wohnungsbau-Programm mit städtischen Mitteln!

Also: Es gibt viel zu tun in der Wohnungspolitik. Kämpfen wir gegen die Wohnungsnot auch in Göttingen!

Karlheinz Paskuda,
Mitglied in DIE LINKE, im Aufsichtsrat der SWB Göttingen, im „bundesweiten Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“, bei den „Kritischen VONOVIA-Aktionär*innen“, im „AK große Wohnungsbau-Unternehmen des DMB“ und bis April 22 stellv. Vorsitzender des Mannheimer Mietervereins, wohnt seit Dezember 21 in Göttingen.

Veröffentlichung in den Göttinger Blättern Juni 2022